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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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aussehen ließ.
    »Er ist da drüben!« schrie ich und deutete in die entgegengesetzte Richtung. »Ich habe ihn gesehen!«
    Ein dicker Mann in einem Bienenkostüm drängte sich an mir vorbei. Er aß gerade ein Himbeereis, von dem etwas auf seinen Bauch getropft war. Die rötlichen Flecken sahen aus wie Blutspritzer.
    »Sie gehen jetzt zum Wagen«, befahl Claudel.
    »Ich habe ihn auf der Rue Ste. Catherine gesehen!« wiederholte ich. Vielleicht hatte er mich nicht gehört. »Vor den Foufounes Èlectriques ! Er ist in Richtung Boulevard St. Laurent gegangen!« Meine Stimme kam sogar mir ziemlich hysterisch vor.
    Wenigstens hörte Claudel mir jetzt zu. Er zögerte einen Augenblick und besah sich noch einmal meine Verletzungen.
    »Sind Sie okay?«
    »Ja.«
    »Und Sie gehen auch wirklich zum Wagen?«
    »Ja.« Als Claudel sich umdrehte, rief ich »Halt, warten Sie!« Mit zitternden Beinen stieg ich über den kniehohen, rostigen Draht, der das leere Grundstück umgab, und kletterte auf einen der Betonblöcke. Von oben suchte ich das Meer aus Köpfen nach der orangefarbenen Baseballmütze ab, konnte sie aber nirgends entdecken. Claudel wartete ungeduldig und blickte zwischen mir und der Kreuzung hin und her. Er kam mir vor wie ein Schlittenhund, der darauf brennt, endlich loslaufen zu dürfen.
    Ich schüttelte den Kopf und hob die Hände.
    »Gehen Sie los«, sagte ich. »Ich bleibe hier und halte die Augen offen.«
    Claudel machte sich auf den Weg zur Rue Ste. Catherine. Die Menge verschluckte ihn wie ein Schwarm von Antikörpern ein körperfremdes Protein. Binnen Sekundenbruchteilen hatte Claudel sich aus einem Individuum in ein winziges Steinchen im Mosaik der Masse verwandelt.
    Hinter der Rue St. Urbain sah ich einen Streifenwagen, der sich mit blinkendem Rot- und Blaulicht am Rand der Menge entlangquälte. Die Feiernden ignorierten seine penetrant heulende Sirene und ließen ihn nicht vorbei. Einmal glaubte ich, etwas Oranges aufblitzen zu sehen, aber es stellte sich als der Kopf eines Tigerkostüms heraus. Die Frau mit dicksohligen Turnschuhen, die das Kostüm trug, nahm bald darauf den Kopf ab und trank aus einer Limonadendose.
    Die Sonne brannte, und ich hatte hämmernde Kopfschmerzen. Ich spürte, wie das Blut an meiner aufgerissenen Wange zu gerinnen begann, aber ich hörte nicht auf, meine Blicke über die Menge schweifen zu lassen. Ich wollte meinen Beobachtungsposten erst dann verlassen, wenn Claudel und Charbonneau zurückkamen, obwohl ich eigentlich schon wußte, daß meine Mühe vergeblich war. Der Heilige Johannes hatte es mit St. Jacques offensichtlich gut gemeint und ihn im Trubel seines Feiertages entkommen lassen.
     
    Eine Stunde später trafen wir uns am Auto. Die beiden Detectives zogen Jacketts und Krawatten aus und warfen sie auf den Rücksitz. Der Schweiß rann von ihren Gesichtern, und ihre Hemden klebten klatschnaß an ihren Rücken und Armen. Charbonneaus Gesicht war so rot wie eine Himbeertorte, und an seiner Stirn stand ein Büschel Haare ab und verlieh ihm das Aussehen eines schlecht geschorenen Schnauzers. Mein T-Shirt war ebenfalls naß vom Schweiß, und meine Trainingshosen fühlten sich an, als hätte ich sie direkt aus der Waschmaschine genommen und angezogen. Als wir halbwegs wieder zu Atem gekommen waren, machten wir erst einmal unserem Frust gehörig Luft. Daß dabei mindestens ein dutzendmal das Wort »Scheiße« oder » Merde « vorkam, störte keinen.
    Charbonneau griff durch das offene Fenster in den Wagen und holte ein Päckchen Players aus seiner Jackettasche. Auf der Stoßstange hockend zündete er sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug.
    »Der Bastard hat sich durch die Menge gewühlt wie eine Küchenschabe durch ein Stück Scheiße.«
    »Er kennt sich hier besser aus als wir«, sagte ich und mußte mich zurückhalten, um nicht mit den Fingern an meiner Wange herumzufummeln. »Dadurch war er im Vorteil.«
    »Meinen Sie, es war der Typ vom Geldautomaten?« fragte Charbonneau, nachdem er eine Zeitlang schweigend geraucht hatte.
    »Schwer zu sagen«, entgegnete ich. »Ich habe sein Gesicht nur ganz kurz gesehen.«
    Claudel nahm mit einem Schnauben ein weiteres Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich damit den Schweiß aus dem Nacken.
    Ich fixierte ihn mit meinem noch nicht geschwollenen Auge. »Jetzt sagen Sie bloß, daß Sie ihn erkannt haben.«
    Noch ein Schnauben.
    Bleib ruhig, sagte ich mir. Als Claudel dann aber auch noch grinsend den Kopf schüttelte,

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