Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
einer blühenden Kolonie grünlicher Schimmelpilze überzogen. Rechts neben dem Duschvorhang stand eine mit einer Resopalplatte versehene Arbeitstheke mit Kochplatte, zwei Plastikkannen und einer Ansammlung nicht zueinander passender Teller und Töpfe.
An der anderen Wand des Zimmers sah ich ein ungemachtes Feldbett und daneben einen Tisch aus einer dicken Sperrholzplatte, die auf zwei Sägeböcken mit der Aufschrift »Eigentum der Stadt Montreal« lag. Davor stand ein Klapptisch aus Metall, auf dem sich Bücher und Papiere stapelten. Darüber klebten Photos, Zeitungsausschnitte und ein großer Stadtplan an der Wand. Das einzige Fenster war wie bei Madame Rochon rechts neben der Eingangstür. Zwei nackte Glühbirnen hingen an Kabeln von der Decke herab.
»Hübsch hier«, meinte Charbonneau.
»Ja. Echt wohnlich. Und so appetitlich wie Herpes oder das Toupet von Burt Reynolds.«
Claudel ging zu dem Vorhang und schob ihn mit einem Kugelschreiber vorsichtig zur Seite.
»Das Verteidigungsministerium sollte hier mal ein paar Proben nehmen«, sagte er. »Vielleicht eignet sich das Zeug ja für die biologische Kriegsführung.«
Er ließ den Vorhang fallen und ging zum Tisch.
»Der Vogel ist ausgeflogen«, meinte Charbonneau, der mit der Schuhspitze einen Zipfel der Bettdecke angehoben hatte.
Ich besah mir die Küchenutensilien auf der Resopaltheke. Zwei Bierkrüge mit dem Emblem der Montreal Expos. Eine leere Spaghettidose, deren Inhalt sich teilweise in einem alten, verbeulten Kochtopf, teilweise in einer Schale aus blauem Porzellan befand. Auf den Spaghetti in der Schale lag ein angebissenes Stück Cheddarkäse. Daneben waren ein Plastikbecher von Burger King und mehrere Zellophanpäckchen mit gesalzenen Kräckern.
Als ich mich über die Kochplatte beugte, traf mich die Erkenntnis wie ein Paukenschlag. Er ist noch hier ! Die Wärme, die von der Platte aufstieg, ließ mir das Blut in den Adern zu Eis gefrieren. Ich wirbelte herum.
»Er ist hier!« rief ich Charbonneau zu.
Kaum waren mir die Worte über die Lippen gekommen, da flog auch schon eine Tür in der rechten hinteren Ecke des Raumes auf und drückte Claudel, der genau davor stand, mit der rechten Schulter an die Wand. Eine Gestalt in seltsam glänzender Kleidung rannte mit gebücktem Oberkörper quer durchs Zimmer zur offenen Wohnungstür. Ich konnte den rasselnden Atem hören.
Nur einmal während seiner Flucht hob der Mann den Kopf und sah mich für den Bruchteil einer Sekunde mit seinen dunklen, ausdruckslosen Augen an, die unter dem Schirm einer orangen Baseballmütze hervorschauten. Sie sahen aus wie die eines gehetzten Tiers. Mehr sah ich nicht. Blitzschnell war der Mann verschwunden.
Als Claudel das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, zog er die Pistole und rannte hinterher. Ohne zu zögern, nahm auch ich die Verfolgung auf.
11
Als ich die Straße erreichte, blendete mich das grelle Sonnenlicht. Blinzelnd hielt ich Ausschau nach Charbonneau und Claudel. Die Parade war offenbar vorbei und die Menschen strömten aus der Rue Sherbrooke in die Rue Berger. Schließlich entdeckte ich Claudel, der sich mit den Ellenbogen einen Weg durch die Menge bahnte. Mit rotem, wutverzerrtem Gesicht schrie er die Leute an. Charbonneau zeigte seine Polizeimarke mit ausgestreckten Armen und bewegte sich wie ein Schneepflug vorwärts.
Die Menge feierte fröhlich weiter und merkte kaum, daß sich etwas Ungewöhnliches tat. Eine große Blondine schwankte im Arm ihres Freundes an mir vorbei. Sie hatte den Kopf in den Nacken geworfen und prostete mit einer Flasche Molson dem Himmel zu. Ein Betrunkener, der eine Flagge von Quebec wie ein Superman-Cape um sich geschlungen hatte, war auf einen Laternenpfahl geklettert und forderte die Menge zu Sprechchören wie » Québec pour les Québecois !« auf. Als die Leute einstimmten, bemerkte ich eine zunehmende Aggressivität.
Ich rannte um das Haus herum auf eines der leeren Grundstücke, kletterte auf einen Betonblock und versuchte auf Zehenspitzen stehend, von oben die Menge zu überblicken. St. Jacques, falls es sich bei dem Flüchtigen wirklich um ihn handelte, war nirgends zu sehen. Er hatte seinen Heimvorteil genützt. Einer der Polizisten aus dem Streifenwagen steckte sein Funkgerät ein und machte sich ebenfalls auf die Suche. Wahrscheinlich hatte er über Funk nochmals Verstärkung angefordert, aber ich bezweifelte, daß es einem Streifenwagen gelingen würde, durch diese Menschenmasse zu uns zu gelangen. Der Polizist
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