Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
an der Tür gewartet haben«, sagte Charbonneau und starrte mit in die Hüften gestemmten Händen hinauf zum Treppenabsatz.
»Madame Fettarsch hätte uns ja auch sagen können, daß er hier noch ein Versteck hat«, meinte Claudel und stocherte mit der Schuhspitze am Rand des Müllhaufens herum. »Der Drecksack hätte uns auch abballern können.«
Charbonneau und ich erwiderten nichts. Wir hatten genau dasselbe gedacht wie Claudel.
Charbonneau ließ die Hände sinken, ging zur Treppe und stieg hinauf. Ich folgte ihm und kam mir dabei ein wenig vor wie der treue Hund, der seinem Herrn hinterhertrottet. Oben in St. Jacques’ Zimmer schlug mir die Hitze wieder ins Gesicht. Ich ging hinüber zu dem Tisch und besah mir das Mosaik aus Notizen und Bildern an der Wand.
In der Mitte befand sich ein großer Stadtplan von Montreal und Umgebung, der von vielen Ausschnitten aus Zeitungen und Magazinen eingerahmt wurde. Rechts von der Karte sah ich die üblichen Pin-up-Girls, wie man sie im Playboy oder im Hustler findet: Manche machten einen Schmollmund, andere blickten einladend in die Kamera und wieder andere zeigten gespielte Orgasmusfreuden. Nichts von alledem war sonderlich überzeugend. Der Mann, der diese Bilder aufgehängt hatte, zeigte keine erkennbare Vorliebe für einen bestimmten Körpertyp, für eine Haut- oder Haarfarbe. Alle Bilder waren sorgfältig ausgeschnitten und in exakt den gleichen Abständen voneinander an die Wand getackert worden.
Links vom Stadtplan hingen einige Zeitungsartikel, von denen die meisten aus der französischsprachigen Presse stammten. Mir fiel auf, daß bei den paar englischen Artikeln immer Bilder dabei waren. Ich las einige Sätze über eine Grundsteinlegung bei einer Kirche in Drummondville. Daneben hing ein französischer Artikel über eine Kindsentführung in Senneville. Meine Augen wanderten hinüber zu einer Anzeige für das Videodrome, das angeblich das größte Angebot an pornographischen Filmen in ganz Kanada hatte, und zu einem Ausschnitt aus Allo Police, in dem über eine Striptease-Bar berichtet wurde. Ein dazugehöriges Photo zeigte eine gewisse Babette in Ledergeschirr und Ketten. Direkt daneben hing ein Ausschnitt über einen Einbruch in Saint-Paul-du-Nord, bei dem der Dieb aus Unterwäsche eine Puppe geformt und mit Messerstichen zerfetzt hatte. Und dann entdeckte ich etwas, was mir das Blut in Eis verwandelte.
In St.Jaques’ Sammlung befanden sich auch drei sorgfältig ausgeschnittene und säuberlich aufgehängte Artikel über bekannte Serienmörder. Im Gegensatz zu den anderen Zeitungsausschnitten waren es Photokopien. Der erste handelte von Léopold Dion, dem »Ungeheuer von Pont-Rouge«. Im Frühling 1963 hatte die Polizei ihn in seinem Haus gefaßt und die Leichen von vier jungen Männern bei ihm gefunden, die er alle erdrosselt hatte.
Der zweite Ausschnitt befaßte sich mit den Taten von Wayne Clifford Boden, der von 1969 an in Montreal und Calgary Frauen vergewaltigt und erwürgt hatte. Als er 1971 gefaßt wurde, waren ihm vier Frauen zum Opfer gefallen. Am Rand des Zeitungsausschnittes standen die handschriftlichen Worte »Bill l´étrangleur «.
Der dritte Artikel beschrieb die Karriere von William Dean Christenson, alias Bill l´éventreur. Dieser Mann war der Ripper von Montreal, der Anfang der achtziger Jahre zwei Frauen getötet, enthauptet und zerstückelt hatte.
»Sehen Sie sich das an«, sagte ich zu den beiden Detectives. Obwohl es in dem Zimmer brütend heiß war, fror ich am ganzen Körper.
Charbonneau trat hinter mich. »Oh, Baby, Baby«, sagte er leise, als er die Blicke über die Bilder rechts von dem Stadtplan schweifen ließ. »Gib’s mir mit dem Teleobjektiv.«
»Ich meine das hier«, sagte ich und deutete auf die Zeitungsausschnitte.
Claudel kam ebenfalls herbei, und überflog zusammen mit Charbonneau die Artikel. Die beiden rochen nach Schweiß, gestärkten Hemden und Aftershave. Draußen auf der Straße hörte ich eine Frau nach Sophie rufen und fragte mich, ob es sich dabei wohl um ein Kind oder ein Haustier handelte.
»Ach du grüne Scheiße«, hauchte Charbonneau, als er erkannte, wovon die Artikel handelten.
»Aber das macht ihn noch lange nicht zu einem neuen Charlie Manson«, brummte Claudel.
»Nein. Vermutlich schreibt er an einer Doktorarbeit über Serienmörder.«
Zum ersten Mal entdeckte ich in Charbonneaus Stimme so etwas wie Verärgerung über seinen Kollegen.
»Der Kerl kann doch ganz einfach unter Größenwahn
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