Tote Maedchen luegen nicht
stand kein Stoppschild an der Ecke. Nicht zu dieser Stunde. Und einer der beiden Fahrer kam ums Leben.
Niemand wusste, wie der Unfall passiert war. Nicht wir. Nicht die Polizei.
Doch Jenny wusste es. Und Hannah. Und vielleicht Jennys Eltern, weil jemand in aller Eile die Stoßstange wieder befestigt hat.
Ich kannte den Jungen im Auto nicht. Es war einer der Schüler aus der Abschlussklasse. Als ich sein Foto in der Zeitung sah, kam er mir nicht bekannt vor. Nur eines der vielen Gesichter an der Schule, die man mal sieht und sofort wieder vergisst.
Ich bin auch nicht zu seiner Beerdigung gegangen. Vielleicht hätte ich das tun sollen, aber ich konnte nicht. Und jetzt versteht ihr sicher auch, warum.
Sie wusste es nicht. Sie wusste nichts von dem Mann in dem anderen Fahrzeug. Sie wusste nicht, dass es der Mann war, der in ihrem alten Haus wohnte. Und ich bin froh darüber. Kurz zuvor hatte sie noch zugesehen, wie er seinen Wagen aus der Garage fuhr, ohne von ihr Notiz zu nehmen.
Doch einige von euch waren dort, auf seiner Beerdigung.
Er wollte eine Zahnbürste zurückbringen. Das hat mir seine Frau erzählt, als wir auf ihrem Sofa saßen und gemeinsam darauf warteten, dass die Polizei ihn nach Hause bringen würde. Er wollte ans andere Ende der Stadt, um seiner Enkelin ihre Zahnbürste zurückzubringen. Sie haben sich um sie gekümmert, während ihre Eltern im Urlaub waren. Die Zahnbürste
hatte sie versehentlich bei ihren Großeltern liegen lassen. Die Eltern des Mädchens meinten, es sei nicht nötig, wegen einer Zahnbürste quer durch die ganze Stadt zu fahren, denn sie hätten noch genug Ersatzzahnbürsten. »Aber so ist er halt«, sagte seine Frau zu mir. »Das ist typisch für ihn.«
Und dann kam die Polizei.
Denjenigen, die auf der Beerdigung waren, möchte ich beschreiben, was für eine Atmosphäre an diesem Tag in der Schule herrschte. Es war vor allem total ruhig. Ungefähr ein Viertel der Schüler war nicht anwesend. Natürlich vor allem welche aus der letzten Jahrgangsstufe. Die Lehrer stellten es aber allen Schülern, die gekommen waren, frei, die Beerdigung zu besuchen, auch wenn sie keine Entschuldigung mitgebracht hatten.
Mr Porter sagte, der Besuch einer Beerdigung könne der erste Schritt sein, um darüber hinwegzukommen. Ich bezweifelte das. Nicht für mich. Denn an der bewussten Straßenecke hatte in dieser Nacht kein Stoppschild gestanden. Irgendjemand hatte es umgefahren. Und jemand anders hatte nicht eingegriffen.
Zwei Beamte halfen dem zitternden Mann ins Haus. Seine Frau stand auf und ging zu ihm hinüber. Sie umarmte ihn, bevor beide in Tränen ausbrachen.
Als ich das Haus kurz darauf verließ, standen die beiden immer noch mitten im Wohnzimmer und hielten sich aneinander fest.
Am Tag der Beerdigung fand in der Schule kein Unterricht statt, damit die Abwesenden nichts verpassten. Die Lehrer gaben uns einfach frei. Wir konnten lesen oder schreiben.
Oder nachdenken.
Und was habe ich getan? Ich habe zum ersten Mal an meine eigene Beerdigung gedacht.
In letzter Zeit hatte ich mich immer öfter, wenn auch sehr allgemein, mit meinem eigenen Tod beschäftigt. Mit der Tatsache des Sterbens. Doch an diesem Tag, während so viele von euch auf der Beerdigung waren, versuchte ich mir erstmals, mein eigenes Begräbnis vorzustellen.
Ich erreiche das Stoppschild. Mit den Fingerspitzen streiche ich über den kalten Metallpfosten.
Dabei merkte ich schnell, dass ich mir durchaus vorstellen konnte, wie das Leben - die Schule und alles andere - ohne mich weiterging. Nur von meiner eigenen Beerdigung konnte ich mir kein Bild machen. Vor allem weil ich mir nicht vorstellen konnte, wer dort erscheinen und was über mich gesagt werden würde.
Ich hatte... ich habe... keine Ahnung, was ihr über mich denkt.
Ich weiß auch nicht, was die anderen über dich denken, Hannah. Nachdem wir von deinem Tod erfahren hatten, wurde im Allgemeinen nur wenig darüber gesprochen. Und die Beerdigung hat ja auch woanders stattgefunden.
Natürlich haben es alle gespürt. Da war dein leerer Platz in der Schule und die Gewissheit, dass du nie mehr wiederkommen würdest. Doch irgendwie schien keiner so richtig zu wissen, wie er ein Gespräch darüber beginnen sollte.
Seit der Party sind inzwischen ein paar Wochen vergangen. Und bis jetzt ist es dir wirklich großartig gelungen, mir aus dem Weg zu gehen, Jenny. Ich denke, das ist nur zu verständlich. Natürlich willst du alles vergessen, was mit dem Auto und dem
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