Tote Maedchen luegen nicht
Auto saßt? »Verdammte Scheiße!« Dann hast du den Schlüssel ins Zündschloss gesteckt und... ich habe dich gestoppt. Ich konnte dich doch nicht weiterfahren lassen.
An der Kreuzung, an der Tony links abgebogen ist, gehe ich nach rechts. Es ist noch zwei Blocks entfernt, doch ich weiß, dass es da ist. Das Stoppschild.
Du hast die Augen geschlossen und gesagt: »Hannah, ich bin nicht betrunken.«
Ich habe dir auch nicht vorgeworfen, betrunken zu sein, Jenny. Ich habe mich nur darüber gewundert, warum zum Teufel du nicht in der Lage warst, den Wagen auf der Fahrbahn zu halten.
»Es regnet«, hast du gesagt.
Ja, natürlich hat es geregnet. Jedenfalls ein wenig.
Ich habe dir geraten, den Wagen stehen zu lassen.
Du sagtest, ich solle ganz ruhig bleiben. Wir würden doch beide in der Nähe wohnen, und was sollte in diesen Anliegerstraßen schon groß passieren - als hätte das die Sache besser gemacht.
Jetzt sehe ich es. Ein Stoppschild, das an einem Metallpfosten befestigt ist. Seine reflektierenden Buchstaben sind schon von Weitem zu erkennen. Doch in jener Nacht stand dort ein anderes Schild. Eines mit nicht reflektierenden Buchstaben, das an einem Holzpfahl befestigt war.
»Mach dir keine Sorgen, Hannah!«, sagtest du. Dann hast
du gelacht. »Auf Stoppschilder achtet doch sowieso niemand. Alle fahren einfach weiter. Und jetzt ist das an dieser Stelle sogar legal. Die Leute werden mir dankbar sein.«
Ich habe dir erneut geraten, das Auto irgendwo abzustellen. Bestimmt gäbe es noch andere Leute auf der Party, sagte ich, die uns nach Hause bringen könnten. Gleich morgen früh würde ich dich abholen und zu deinem Wagen fahren.
Aber du wolltest davon nichts wissen. »Hör zu, Hannah...«, hast du wieder gesagt.
»Lass ihn stehen, bitte!«, wiederholte ich.
Dann wolltest du plötzlich, dass ich aussteige. Aber das tat ich nicht. Ich wollte dich zur Vernunft bringen. Ich sagte, du solltest froh sein, dass es nur ein Verkehrsschild war, und habe dich gewarnt, was alles passieren könnte, wenn ich dich jetzt nach Hause fahren ließe.
»Steig aus!«, hast du gesagt.
Ich schloss die Augen und lauschte dem Geräusch des Regens und der Scheibenwischer.
»Hannah, steig... aus!«
Schließlich habe ich es getan. Ich öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen. Aber ich habe sie nicht zugemacht. Ich schaute zu dir hinüber. Du hattest die Hände am Steuer, den Blick starr nach vorne gerichtet.
Ich lasse das Stoppschild, auf das ich zugehe, nicht aus den Augen.
Ich fragte, ob ich mal dein Telefon benutzen dürfte. Es befand sich in der Halterung direkt neben dem Radio.
Du hast gefragt, warum.
Ich bin mir nicht sicher, warum ich dir die Wahrheit gesagt habe. Ich hätte mir irgendwas ausdenken sollen. »Wir müssen
zumindest jemandem wegen des kaputten Schilds Bescheid sagen«, antwortete ich.
Du schautest weiter starr geradeaus. »Sie können es zurückverfolgen. Sie können prüfen, woher der Anruf kam, Hannah.« Dann hast du den Motor gestartet und mir gesagt, ich soll die Tür zumachen.
Aber das tat ich nicht.
Also hast du den Rückwärtsgang eingelegt und bist zurückgesetzt. Ich konnte gerade noch zur Seite springen, um der schlagenden Tür auszuweichen. Es hat dich nicht gekümmert, dass das Stoppschild an der Unterseite deines Wagens entlangschrammte. Plötzlich lag es verbeult und zerkratzt vor meinen Füßen, während du den Motor aufheulen ließt. Ich verstand den Hinweis und hielt ausreichend Abstand. Dann hast du Vollgas gegeben, die Seitentür schlug von alleine zu, und bist verschwunden.
Im Grunde hattest du weit mehr auf dem Kerbholz als ein ramponiertes Stoppschild, Jenny.
Und wieder hätte ich es verhindern können... irgendwie.
Wir alle hätten es verhindern können. Die Gerüchte. Die Vergewaltigung.
Dich.
Ich hätte doch irgendwas sagen können. Dir zur Not den Schlüssel wegnehmen. Oder, als letzte Möglichkeit, dir das Telefon entreißen und die Polizei verständigen.
Das wäre übrigens das Einzige gewesen, was geholfen hätte. Denn natürlich hast du nach Hause gefunden. Das war nicht das Problem. Das Problem war, dass das Stoppschild nicht mehr an Ort und Stelle stand.
B6 auf der Karte. Zwei Blocks von der Party entfernt steht ein Stoppschild. Doch in jener Nacht, zu später Stunde, war es
plötzlich weg. Und es hat geregnet. Und jemand wollte pünktlich eine Pizza ausliefern. Und ein anderer, der in die entgegengesetzte Richtung fuhr, bog um die Ecke.
Der alte Mann.
Es
Weitere Kostenlose Bücher