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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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Mütter und Väter wollen ihre richtigen Kinder wiederhaben.«
    »Das ist doch nur Aberglaube. Das ist ...«
    »Die Mütter und Väter wissen, dass ihre Töchter erst zurückkommen, wenn der Wechselbalg stirbt. Wenigstens ihre Seelen! Das ist das Ziel der RF: Sie will Eltern ihre Kinder zurückgeben. Um ihre Seelen zu retten!«
    »›Säuberung.‹ Klar doch. Für mich ist das Mord.«
    »Aber die bringen doch uns um! Das sind Parasiten, Ig. Sie benutzen uns, um sich zu vermehren. Für die sind wir nur Überträger! Wenn wir zulassen, dass die so weitermachen, übernehmen sie bald die ganze Welt! Und wenn wir alle tot sind und sie sich nicht mehr fortpflanzen können, sterben sie auch, und das war’s dann. Ein für alle Mal.«
    »Da wird sich schon ein Heilmittel finden«, sagte ich. »Irgendwann. Sie werden herauskriegen, wie das alles angefangen hat, und dann ...«
    »Das einzige Heilmittel«, fiel mir Myshkin ins Wort, »sind wir. Ich und meine Kumpels haben schon mit der Arbeit angefangen. Drüben im Westen.«
    »Aber das ist verboten!«
    »Drüben im Westen, wohin die Puppen geflohen sind. Die Ausreißerinnen. Mädchen, bei denen die ein oder andere drastische Operation vonnöten ist.«
    »Du steckst dich noch an! Und dann schleppst du das hier ein.«
    »Mach dir nicht ins Hemd! Ich werde sowieso niemals Sex haben. Diese ganzen Kinder, die unablässig Babys produzieren! Igitt ‒ le nombril sinistre! « Myshkin rang die Hände, und seine Handschuhe quietschten. »Sex ist etwas für Robotniks und Junkies. Sex ist ... Sex ist einfach nur schlecht. Mich wirst du bestimmt nie dabei erwischen, wie ich Lilim zeuge.«
    »Du bist doch selbst der größte Junkie! Bevor du einundzwanzig wirst, krepierst du irgendwo.«
    »Das ist ein Kreuzzug, Ig. Da muss man bereit sein, Opfer zu bringen.«
    Ein Fußball hüpfte mir in den Schoß; ich warf ihn in das Gewühl zurück. Die Mädchenbande, die Mondkälber, die unehelichen kleinen Mamas, die sich Nutcracker Sweets nannten, spielten jetzt im Schatten bei den Fahrradständern Himmel und Hölle.
    »Im Unterricht ‒ was du da über Primavera gesagt hast...«
    »Die Schlampe ‒ sie ist hübsch.« Myshkin lachte, wobei sich sein Stimmbruch bemerkbar machte. »Keine Sorge. Mein Bruder ist Vertrauensschüler. Wir kümmern uns um sie. Nach der Schule.« Er tätschelte das Magazin in seiner Sportjacke. »Wir werden Doktor spielen. Ich werd den Psycho-Zygo mimen. Das wird der Hammer!«
    Korridore. Korridore. Dunkle Straßen durch die Ruinen unserer Kindheit. Korridore, in denen sich Jungen und Mädchen drängten, die, auf der Suche nach ihrer verlorenen Unschuld, vorsichtig ein riesiges, muffiges Dachgeschoss zu durchqueren schienen. Sonnenstrahlen, die durch die Ritzen der mit Brettern vernagelten Fenster fielen, ließen sie immer wieder innehalten. Ich mischte mich unter die Menge, das Pochen der von Staubpartikeln erfüllten Luft ein Kontrapunkt zu dem Metronom in meinen Schläfen. Unter Gesimsen hindurch, über Sparren hinweg: Niemand schrie, niemand kreischte, nur ein kraftloses Murmeln, die Schüler tratschten träge mit von der Sommerhitze geschwollenen Zungen. Zwei Schmeißfliegen paarten sich in der Luft und ließen sich dann befriedigt auf einem modrigen Geländer nieder. Ein Junge mit einer blutigen Nase lag heulend auf dem Boden. Was für ein Vorstadtidyll! Davor konnte ich nur kapitulieren, und so verließ ich den Dachboden meiner Träume ...
    Den ganzen Nachmittag saß ich mit klopfendem Herzen hinter ihr ‒ es gab kein Entkommen. Ich war ihr so nahe, dass ich den berauschenden Duft ihrer frisch gewaschenen Mähne riechen konnte. Primavera ignorierte mich. Fast hätte ich sie an der Schulter berührt und sie gebeten, nicht durch den Park zu gehen ‒ lass mich dich nach Hause begleiten! Aber die Begierde war stärker als meine Barmherzigkeit, und ich stellte sie mir im Gulag der Puppenklinik vor, und mich in einem Operationskittel und mit Mundschutz; ich dachte an Zwangsjacken, Gummizellen, Seziertische; der billige Schulmädchenduft ihrer Haare schien sich mit den Gerüchen von Chloroform und Äther zu mischen.
    Sonnenschein fiel schräg durch das Klassenzimmer; ich atmete tief ein und dann noch tiefer. Meine Nebenhöhlen kribbelten vor dunklen Gelüsten. Ich würde es tun müssen. Wie die Medicine Heads. Wie sollte ich sonst ein Mädchen kennenlernen? Die Alternativen waren abstrakt; über sie las man in Tom Sawyer , und im Geschichtsunterricht erfuhr man von Zeiten,

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