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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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Tür zeigten an, wenn einer von ihnen auf Drängen des Traumgestalters aus seinem drogeninduzierten Schlaf aufgewacht war, während er sich immer noch in der REM-Phase befand. Primavera legte die Hände auf die Ohren. »Hört auf!«, schrie sie. »Hört auf! Hört auf!« Aber die Träumer in der Spielhalle waren taub.
    Als wir auf die Straße hinausrannten, erhob sich vor uns das Grace ; auch eine Schönheitsoperation im Art-déco-Stil hatte den Krebsbefall an der Fassade nicht kaschieren können. Ganz oben ein Penthaus: Kitos Nest. Ein Horst, in dem sich Eitelkeit, Gehässigkeit und Betrug niedergelassen hatten.
    Ein kleiner Junge mit einem Engelsgesicht zupfte an meinem Hosenbein. Er sah mich mit großen Kinderaugen an und verbeugte sich: »Bitte, Sir, zehn Baht. Ich habe Hunger.«
    Primaveras Faust krachte gegen den Schädel des Kindes. Es rannte davon, wobei ihm Drähte und Prozessoren aus dem Ohr hingen. »Madame sollte diese Dinger wirklich loswerden«, sagte sie.
    »Wie kommen wir da rein?«
    »Haupteingang. Keine Schläger. Wir nehmen den Weg durch das Café.«
    »Aber da ist es bestimmt gerammelt voll.«
    »Umso besser ‒ dann bemerkt uns niemand.«
    Primavera nahm meinen Arm und führte mich durch das Portal von Kitos Festung.
    »Wie früher«, sagte sie. Ich hielt ihren Arm umklammert. Aus Angst? Um ihr zu zeigen, dass ich zu ihr hielt? Aber warum sollte Primavera das nötig haben? Die Vampirin hatte Blut gewittert. Es war Angst ‒ meine Angst, die sie lockte. »Ganz ruhig«, dachte Primavera, »das ist eine Angelegenheit unter Puppen. Bloß nicht aufregen. Du sollst nur dafür sorgen, dass ich mehr wie ein Mensch aussehe.« Peinlich berührt ließ ich sie los.
    Ich lächelte den Pagen zu und geleitete meine »Schwester« (diese Doppelrolle hatten wir während unseres Aufenthalts im Weird schon früher gespielt) in die mélange des Cafés. Noch vor ein, zwei Jahren hatten wir geradezu entwaffnend unschuldig gewirkt. Aber inzwischen waren wir nicht mehr ganz so überzeugend ‒ ich sah aus wie das Phantombild eines Jungen, der aus Borstal entflohen war, und Primavera war die Verkörperung einer jugendlichen Elternmörderin.
    »Du kannst immer auf mich zählen«, dachte ich auf ihr mentales Seufzen hin. »Wirklich ‒ ich meine das ernst.« Doch sie hörte mir nicht zu, war viel zu beschäftigt damit, Hunderte von Wellenlängen zu entwirren, das Gebrabbel menschlicher Begierden. Farang versuchten, verträumt oder von Selbsthass erfüllt, mit den Gynoiden anzubändeln, die sich im Foyer drängten.
    Wir quetschten uns an nostalgischen, zoomorphen, verspielten Puppen vorbei: Kopien ‒ »Antiquitäten« mit Kugelgelenken und Porzellanhaut ‒, die uns die Messingschlüssel zu ihrem Bauchnabel entgegenhielten; eine Felis femella , deren Greifschwanz sich wie eine Aderpresse um meine Arme legte; und die Cephalopoden, Zombietoten und durchsichtigen Sallys. (Für andere jeux d’esprit hatte sich die Palette des menschlichen Körpers in das Reich des abstrakten Expressionismus verabschiedet.) Natürlich gab es auch traditionelle Modelle: Klischees von Weiblichkeit, in winzige tropische Puppen-Couture gekleidet, die in ihrem Mademoiselle-Butterfly-Geplapper Sex vom Fließband feilboten. Die Klientel des Grace hatte auf diese Nachtschicht jedoch schon zu viel Zeit verwendet; sie war auf der Suche nach dem Kitzel des Neuen.
    »Leichenmühle?«, fragte etwas, das aus einer Dreschmaschine gefallen zu sein schien.
    »Röntgensex?«, fragte eine durchsichtige Sally.
    »Aktionsmalerei? Möchten Sie mich in Öl? In Gouache? In Wasserfarben?« Die Haut der Puppe fing an, auf den Boden zu tropfen.
    »Darf ich deine Hose sein?«
    »Selbstmord aus Liebe?«
    »Sunset Boulevard?«
    »Ficki Ficki mit Messer?«
    Mehrere Bijouteries waren zu erkennen; keine echten, sondern umfunktionierte. Für manche Wüstlinge ist es ein absoluter Höhepunkt, mit einer Frau ins Bett zu gehen, die nur noch teilweise menschlich ist; und da die thailändischen Bijouteries Freaks waren und aufgrund ihrer Seltenheit ausgesprochen teuer, gab es einen wachsenden Markt für Mädchen aus der Provinz, für die eine Mechanisierung die einzige Alternative zur Armut darstellte. (Am Nana gab es eine Bar ‒ Pretty Girls Are Human Too ‒, die voll war von solchen posthumanen Schismatikerinnen.)
    »Nächstes Jahr sind wieder Menschen in«, dachte Primavera.
    »Meinst du?«
    »Klar. Irgendwann schließt sich der Kreis immer. Gynoiden kommen langsam aus der

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