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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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sie. So einfach ist das. Aber so weit wird es nicht kommen.«
    »Warum ...?«, fragte ich und verstummte. Warum war ich zurückgekehrt, warum war ich ihr Sklave? Ich kannte die Antwort. Die Bildautomateuse über dem Bett anscheinend auch. Sie lachte spöttisch. So waren sie nun einmal, die Sternchen. Ein Hacker hatte einen Virus in ihre zweidimensionale Welt eingeschmuggelt, der einem das Gefühl vermittelt, klein und unbedeutend zu sein. Menschliche Melancholie aktivierte ihn. Was für ein toller Streich! Ich nahm das Poster vom Haken. Es war hauchdünn und riss leicht; das Papierpüppchen duckte sich. Ich machte einen weiteren Riss hinein, und sie flüchtete an den Rand des Posters.
    Ignatz der Sklave. Ignatz, der immer wieder zurückkam. Warum? Warum? Weil ein Junkie immer wegläuft; und immer zurückkommt. So sind sie nun mal, die Junkies.
    Primavera kicherte triumphierend. »Weil ich die tollste Puppe von allen bin! Habe ich nicht recht?« Jetzt redete sie mit dem Spiegel. »Bin ich nicht die tollste Puppe auf der ganzen Welt?«
    Die Bildautomateuse warf sich ‒ mit Hilfe einer halb zerrissenen mechanischen Krake, die ihr 2-D-Freund gewesen war ‒ in Pose und schaltete von Soft- auf Hardcore; sie zog einen Schmollmund, der es in sich hatte. Ich riss sie mittendurch; was von ihrem Poster übrig war, zitterte bei ihrem Schrei.
    »Lass die arme Bildautomateuse in Ruhe«, sagte Primavera. »Rüpel! Du bist genauso schlimm wie Mr. Jinx.«
    »Dann stimmt es, was man sich erzählt ...« Ich zerknüllte das Poster, warf es in den Mülleimer und kniete mich hin, um Primaveras Einkäufe zu begutachten. Kleider glitschten mir durch die Hände; Fasern schmiegten sich schmeichelnd an meine Poren.
    »Dermaplast«, sagte ich und zog eine durchweichte Hose aus einem Haufen. »Hättest du mir nicht etwas Normales besorgen können?«
    »Wenn du schon mitkommst«, sagte sie. »Hier ...« Sie reichte mir eine Spraydose. »Besprüh mich damit. Den restlichen Kram kann ich holen, wenn wir mit Madame fertig sind.«
    Sie stellte sich in die Mitte des Zimmers, spreizte die Beine und hob die Arme. Ich schüttelte die Dose. Es dauerte nicht lange, und ihr ganzer Körper war, mit Ausnahme des gespenstisch weißen Gesichts, mit einer Patina aus glänzender schwarzer Gelatine bedeckt.
    »Wie schnell trocknet das?«, wollte ich wissen.
    »Fast augenblicklich. Das Zeug ist brandneu. Ah! Die Nervenenden erwachen zum Leben!«
    Um ihr Ensemble zu vervollständigen, schlüpfte sie in messerscharfe Stöckelschuhe und steckte sich Goldringe an ihre Brustwarzen und die Klitoris. Ich brauchte etwas länger, um mich anzuziehen ‒ ich mochte es nicht, mich in etwas zu hüllen, das sich wie die Haut von jemand anderem anfühlte.
    Dann hockten wir uns bis spätabends vor den Fernseher (Primavera hätte fast einen Traumgestalter gewonnen) und hauten uns die Wampe voll; als wir hinausgingen, ließen wir ein Chaos aus halbleeren Tellern, gebrauchtem Verbandszeug, zerbrochenem Glas, Zigarettenkippen, Spritzen, blutbefleckten Laken und Zähnen zurück. Endlich waren wir bereit, die Nacht zurückzuerobern!

6
Go-Go? Go-Go!
    »Aber was hat Kito denn nun mit der Puppenplage zu tun?«
    Wir fuhren mit der Hochbahn Richtung Nana Plaza. Aus Angst, erkannt zu werden, hatte ich mir meinen Panama ins Gesicht gezogen (wir waren nur zwei Haltestellen von Kitos Schlupfwinkel entfernt); Primavera dagegen sonnte sich in den verstohlenen Blicken der zahllosen Voyeure.
    »Weißt du denn nicht, was die denken? Noch so eine dieser Dermoidjunkies, jede Wette ‒ eine Hautsüchtige, die dem künstlichen Fleisch verfallen ist.«
    »Natürlich weiß ich, was sie denken, du Dummkopf!« Ihre Gedanken waren so laut, dass ich mich selbst nicht mehr hören konnte. »Ist mir doch egal. Das sind eh alles Roboficker. Zweibeinige Phalli, hat Madame immer gesagt. Und du solltest aufpassen, wen du als Junkie beschimpfst!«
    »Okay, okay. Aber was ist, wenn uns jemand erkennt?«
    Widerwillig griff sie in ihre Schultertasche, setzte eine witwenschwarze Sonnenbrille auf und schüttelte ihr Haar. (Drei Jahre lang war eine wöchentliche Investition in eine Flasche Haarfärbemittel ihre einzige Tarnung gewesen. Kontaktlinsen? O nein, sie doch nicht.) Dann wandte sie den anderen Fahrgästen den Rücken zu und blickte in die Nacht hinaus. Ihre Raubtierzähne marterten ein großes Stück Kaugummi.
    »Also?«, dachte ich. »Kito‒Puppenplage; Puppenplage‒Kito. Wo ist der Zusammenhang?«
    Unter uns

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