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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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bekamen einen Anfall.
    »Iggy, hör auf! Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um...«
    »Ich kann nichts dagegen tun! Es, es, es ...«
    Dermaplast ist ein somatisches Gewebe ‒ es verstärkt die Sinne. Mikroskopisch kleine Fasern verbinden das periphere Nervensystem des Materials mit dem des Trägers.
    Primavera wusste sofort Bescheid. Sie packte meine Hose an einer Stelle direkt über dem Steißbein und riss eine Handvoll zweite Haut herunter. Die Krämpfe hörten auf.
    »Ich habe ihr Kortex erwischt«, sagte sie und zerquetschte den weißen Kunststoff, bis das maßgeschneiderte Melanin ihr zwischen den Fingern zerlief. »Ein mieser Trip, was? Die Elektromuskeln entspannen sich jetzt. Das ist das letzte Mal, dass ich bei Daimaru einkaufe. Alles in Ordnung?«
    »Nichts, was eine Bluttransfusion nicht beheben könnte.«
    Die Sukhumvit Road führte mitten durch den Nana Plaza, und wir mussten eine Fußgängerbrücke nehmen, um das Wasser zu überqueren und jenen Wirrwarr aus Restaurants, Schneidereien, Juweliergeschäften, chirurgischen Praxen und Bars zu erreichen, der seit der Belle Époque unter dem Namen »Französisches Viertel« bekannt war. In diese Halbwelt der zum Stil erhobenen Billigangebote kam die abgehalfterte Aristokratie von Europas Informationselite, um jenen Snobismus zu heucheln, den sie sich nicht mehr leisten konnte.
    »Schau mal«, sagte Primavera. »Marsianische Edelsteine!« Sie drängte sich an zwei Schaufensterguckern vorbei und drückte ihre Nase an die Scheibe. In der Auslage erstrahlten Modeartikel aus Neo-Lalique, die vorgeblich aus dem Fels des roten Planeten hergestellt waren.
    »Dafür haben wir jetzt keine Zeit«, sagte ich. »Außerdem weißt du doch, dass die nicht echt sind.« Der Mann, den Primavera beiseitegestoßen hatte, sah mich wütend an, murmelte etwas, das verdächtig nach der Sprache der untergegangenen Großmacht Deutschland klang, nahm seine Begleiterin am Arm und eilte davon. Diese Typen waren überall ‒ Europunks, die vor der Wirklichkeit davonliefen. Jungen und Mädchen, die nach ihren verlorenen Spielsachen suchten.
    Eine feuchtwarme Brise fegte knöcheltiefen Smog über den Asphalt; Kohlendioxidemissionen vermischten sich mit dem Methan, das aus einem Khlong in der Nähe sprudelte (und mit anderen Schadstoffen, die nur im Big Weird vorkamen und so neuartig waren, dass sie unter Naturschutz gestellt werden sollten), und beschworen eine billige Gruselatmosphäre herauf. Ein Tourist ließ eine Zigarettenkippe fallen; Primavera und ich wichen zurück. Ein Blitz, die Luft ging in Flammen auf, und der Farang wandte sich zu uns um, halb entschuldigend, halb vorwurfsvoll, sein Gesicht so schwarz, als wäre ihm eine Zigarre im Mund explodiert.
    Wir steuerten das Grace Hotel an.
    In den Eingängen des Thin Lizzy , des Robogirl und des Kiss and Panic gingen Mechaneusen auf Kundenfang. Wirklich alberne Kreaturen ‒ aber lautete der Reklamespruch der Automaten-Nerds nicht »Männer mögen alberne Frauen«? Die phallozentrische Nacht löste ihre tropismatischen Schaltungen aus, sodass sie sich, den prüfenden Blicken der Menge ausgesetzt, anspannten wie Bogensehnen. Primavera nahm meinen Hut und zog ihn sich bis über die Ohren; wir waren der Bienenkönigin jetzt zu nahe und durften nicht riskieren, dass ihre Arbeiterinnen uns erkannten. »Wegen der Gynoiden mache ich mir keine Sorgen«, sagte Primavera, »schon eher wegen der ganzen Farang, die Kito am Rockzipfel hängen.«
    »Wie Willy Hofmannsthal, zum Beispiel?«, fragte ich. Hofmannsthal ‒ ein uralter Mann (mehr Androide als Mensch), dessen Körper nur noch Flickwerk aus Fleisch, Stahl und Plastik war, von den Nanomaschinen, die unablässig sein Gewebe reparierten, ganz zu schweigen ‒ Hofmannsthal saß vor seiner Bar, dem Puppenkeller . Ich nahm Primavera am Arm, und wir gingen zu einem Zeitungskiosk; dort kauften wir ein Magazin (auf dem Cover tanzten kleine Männchen), das wir als Fächer gebrauchten. Wir versuchten uns hinter ihm zu verstecken. »Das ist zu offensichtlich«, sagte ich. »Hier rein ...« Wir betraten eine jeux vérités -Spielhalle.
    Während wir sie durchquerten, begrüßten uns aus jeder Kabine Schreie, Gelächter und andere lautstarke Gefühlsäußerungen. Vielleicht waren die Spieler gerade damit beschäftigt, ihre Mütter umzubringen, die Weltherrschaft an sich zu reißen oder St. Ursula und ihre 11000 Jungfrauen zu vögeln, bevor sie sie mit Napalm kaltmachten. Alphawellen-Monitore an jeder

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