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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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Dann schaltete ich auf Autopilot.
    »In Peking gibt es jede Menge Nanotechniker«, sagte ich. »Ich werde dir den besten besorgen. Den allerbesten.« Primavera hatte den Kopf zwischen den Knien.
    »Ich glaube, mir wird ...« Ich strich ihr mit der Hand über die Wirbelsäule. »Nicht. Bitte«, sagte sie.
    »Ruh dich aus«, sagte ich. »Morgen früh ...«
    »Sie hat uns verraten. Titania hat uns verraten. Wie konnten wir ihr nur vertrauen? ›Seid stolz‹, hat sie gesagt. Glaub mir, kein Mädchen möchte eine Puppe sein. Wenn ich alles anders machen könnte ...«
    »Ich liebe dich«, sagte ich, »so, wie du bist.«
    »Ach, du bist grausam, Iggy. Grausamer als ich. Grausamer als Titania.«
    »Ich werde für dich sorgen. Und jetzt hör auf mit dem Unsinn.«
    »Aber sie ruft nach mir. Meine Königin. Hörst du das nicht? Das Geheimnis, Iggy ‒ es ist wahr. Alle Puppen wollen sterben. Wir sind die geborenen Opfer.«
    »Hör nicht drauf.« Ich hielt ihr die Ohren zu. »Denk doch an all das, was wir getan haben. Wie viel Spaß wir hatten. Denk an all das, was wir noch tun werden!«
    »Das kann ich nicht. Titania ist ein Teil von mir, genauso wie Dr. Toxicophilous.«
    »Du bestimmst selbst über dein Leben. Niemand kann dir sagen, was du tun sollst.«
    »Sie haben mir meine Kindheit weggenommen, Iggy. Sie haben mich dazu gezwungen, schlimme Dinge zu tun. Und jetzt muss ich meine Medizin nehmen.«
    »Ruh dich aus«, sagte ich noch einmal. »Ich wecke dich, sobald wir anlegen.« Ich half ihr, sich aufzusetzen; sie schloss die Augen und sank in das Polster.
    »Armer Iggy! Immer kommandiere ich dich herum. Du warst schon immer ein hoffnungsloser Fall.« Sie schlief augenblicklich ein.
    Ich streckte die Hand nach der Brandwunde auf ihrer Wange aus, nach den versengten Haaren, der kosmetisch hergerichteten Stirn, achtete jedoch darauf, nichts zu berühren. Dann griff ich vorsichtig nach dem Reißverschluss ihrer Jeans und enthüllte langsam das tote Fleisch ihres Unterleibs. Der Jeans entfuhr ein leises, erregtes Stöhnen ‒ Primavera hatte einen Schaltkreis übersehen. Ihr Bauch verströmte den salzigen Geruch von kühlem weißen Sand bei Ebbe. Ich zog das Skalpell aus meinem Hosenbund und hielt es über den Bauchnabel; schwaches grünes Licht spiegelte sich in der Klinge. Ich drückte ein Auge an das Guckloch. Was wurde da gespielt?
    Die Nekropole. Ein ferner Horizont, über den Flammen zuckten. Und eine Armee ganz in Schwarz gekleideter Gestalten, die sich dem Haus näherten, in dem Dr. Toxicophilous bald belagert werden würde ...
    Ich richtete mich wieder auf. Uns blieb nicht mehr viel Zeit. Ich schaltete den Autopiloten aus und nahm Kurs auf das Ufer. Ich musste einen Nanotechniker auftreiben. Vielleicht in Vientiane? Ich musste es versuchen. Primavera würde die Fahrt nach China nicht überleben.
    Ich trat aufs Gas; der Außenborder soff ab. Ich zerrte an dem Choke und versuchte, den Motor manuell zu starten. Nichts. Dann gingen auch die Lichter und der Computer aus ‒ die ganze Elektronik des Wagens verreckte, als hätte jemand einen elektromagnetischen Puls auf ihn abgefeuert.
    Ich spürte das Bakelit der Lenksäule unter meinen Nägeln; es tat weh, aber ich konnte einfach nicht loslassen. Vor mir stand Titania, nur wenige Meter jenseits der Vorderachse. Von Sternen gekrönt und in Scharlachrot gehüllt schwebte sie über den Wellen, das Kreuz gewölbt und die Füße gekreuzt wie bei einem Entrechat. Reflexartig nahm ich das Skalpell von Primaveras Schoß und warf es; es flog durch die scharlachrote Erscheinung hindurch und verschwand in der Nacht.
    »Keine Sorge«, sagte Titania, »ich habe es nicht auf dich abgesehen, Menschenjunge.«
    »Lass sie in Ruhe!«, sagte ich. »Lass uns beide in Ruhe.«
    »Das ist leider nicht möglich. Primavera hat mich enttäuscht. Schwer enttäuscht, fürchte ich. Ich habe wieder und wieder versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Aber sie ist eigensinnig. Äußerst eigensinnig.«
    »Du hast uns verraten. Alles, was du gesagt hast, war gelogen. Du bist genauso schlimm wie die Menschen.«
    »Gewiss nicht. Diese Lügen waren notwendig. Außerdem habe ich einmal daran geglaubt, dass die Welt vernichtet werden muss. Aber jetzt arbeite ich an etwas anderem. Ich möchte leben. Ich möchte, dass die Lilim leben.«
    »Du hilfst ihren Mördern ...«
    »Natürlich! Wie sonst sollen wir überleben? Wir müssen es auf uns nehmen, unsere Zahl selbst zu regulieren, unsere Fortpflanzungsmuster, um mit

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