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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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vermutete, daß ihn meine Ankunft von einer unangenehmen
Arbeit abhielt. Er führte mich in einen Raum mit einem Schreibtisch, auf dem
Papiere verstreut lagen, und zwei bequemen alten Lehnstühlen, bot mir Kaffee an
und ging ihn holen.
    »Das Schöne an diesem Büro ist«, rief
er aus dem nächsten Zimmer, »daß eine kleine Küche dabei ist. Ich muß nicht ins
Haupthaus hinüber, wenn ich nicht will. Das ist ein Segen, denn ich vermiete
ein paar Zimmer an Studenten, die gerne laute Musik hören. — Milch oder Zucker
in den Kaffee?«
    »Einfach schwarz.«
    »Ich auch.«
    Widdows kam zurück und reichte mir eine
große Tasse. Dann ließ er sich mir gegenüber in den Lehnstuhl fallen und
betrachtete mich neugierig.
    »Sie sind also Privatdetektivin«, sagte
er. »Wie kommt man denn zu diesem Beruf?«
    »Ich habe ein Soziologiediplom von
Cal.«
    Er lachte wissend. »Ich habe ein Diplom
in Journalismus.«
    »Das scheint mir doch ein bißchen
praxisnäher.«
    »Kaum. Den Journalistenberuf lernt man
auch nur in der Praxis.«
    »Nun, die haben Sie ja offensichtlich.«
    »Ich habe alles auf die schwierige Art
gelernt.« Er sprach ohne Bitterkeit oder Selbstmitleid; seine wie auch immer
gearteten Prüfungen schienen ihn zu belustigen. Während er mit einem Bein über
dem Stuhlarm in seinem Sessel lümmelte und seinen nackten Fuß schlenkern ließ,
warf ich einen Blick auf seinen chaotischen Schreibtisch und den Computer — Zeugen
der Arbeit, bei der ich ihn vermutlich unterbrochen hatte.
    »Ich will Sie nicht von etwas
Dringendem abhalten.«
    »Das tun Sie aber — und ich bin hoch
erfreut. Heute morgen ist es mir nicht gelungen, das Wortpuzzle in der Zeitung
zu lösen, und deshalb weiß ich, daß heute so ein Tag ist, an dem ich keinen
vernünftigen Satz schreiben werde. Sie wollten etwas über Perry Hilderly
wissen?«
    »Ja. Soviel ich weiß, hat er für Sie
bei der New Liberty gearbeitet.«
    »Sofern man das Arbeit nennen kann, was
wir damals machten. Perry war Reporter. Er stellte Nachforschungen an, so könnte
man das wohl nennen. Er konnte überhaupt nicht schreiben — ich mußte die
meisten seiner Artikel umschreiben aber er war eine wichtige Figur in der
Bewegung, kannte Leute, die normalerweise nicht mit Reportern gesprochen
hätten.«
    »Wie lange war er bei Ihrer
Zeitschrift?«
    »Er fing achtundsechzig an, nachdem er
Berkeley verlassen hatte.«
    »Lebte er da in San Francisco?«
    »Irgendwo im Fillmore-Viertel, glaube
ich. Viele Leute aus der Bewegung lebten damals dort — es war billig, und sie
kamen mit den ›wirklichen Menschern, wie wir die Minderheiten gerne nannten, in
Kontakt.«
    »Und neunundsechzig ging er dann nach
Vietnam?«
    »Im Frühjahr. Er kam zu mir und sagte,
daß er ausgebrannt sei, daß er von der Bewegung desillusioniert sei. Er wollte
aus erster Hand erfahren, wie der Krieg wirklich war. Wir konnten ihn nicht
bezahlen, aber wir kamen überein, daß wir ihm Pressepapiere besorgen würden,
wenn er die Reise selbst finanzierte. Und er machte sich auf den Weg.«
    »Worüber hat er berichtet?«
    »Er hatte noch keine Zeile abgeliefert,
als das Magazin die Segel strich.« Einen Augenblick lang schaute Widdows
traurig drein. »Das war meine Schuld. Die Einberufungsbehörde war hinter mir
her — das war so etwa einen Monat, nachdem Perry abgereist war — , und ich
entschied mich für den, wie ich dachte, leichteren Weg und haute ab nach
Vancouver. Nach meinem Abgang fehlte der Zeitschrift die straffe Leitung.«
    Nun betrachtete ich ihn neugierig.
Eigenartigerweise war ich noch nie jemandem begegnet, der nach Kanada gegangen
war, um der Einberufung zu entgehen. »Nach Ihrer Formulierung zu schließen, war
›der leichtere Weg‹ dann doch nicht so leicht?«
    »Nein, eigentlich nicht.
Fahnenflüchtige waren dort nicht besonders willkommen. Es gab einfach zu viele
und nicht genug Arbeit. Uns war an dem Land nicht genug gelegen, als daß uns
die Kanadier hätten akzeptieren können. Und viele von uns hatten Heimweh — ich litt besonders darunter. Ich kam im Rahmen eines Amnestieprogramms zurück,
schrieb ein Buch über meine Erfahrungen, und mein Erfolg reichte für den Kauf
dieses Hauses. Heute bin ich ziemlich unpolitisch; ich schreibe hauptsächlich
Bücher und Artikel über Gartenbau. Haben Sie mein Gemüse gesehen?«
    Ich nickte und dachte mir, daß Luke
Widdows ebenso ein Opfer der Kriegswirren geworden war wie die, die in Asien
gekämpft hatten.
    »Wo haben Sie Perry

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