Tote Pracht
sie sich mir gegenüber; sie hatte sich wieder in der Gewalt.
Ich fragte: »Hat D. A. viel getrunken?«
»Ja. Er ist seit ein paar Tagen
furchtbar aufgeregt. Gestern hat er Jakes Laster genommen«, sie deutete durch
die Fensterscheibe auf den uralten roten Kombi, den ich schon bei meinem ersten
Besuch gesehen hatte, »und fuhr los, um Libby Ross zu besuchen. Als er
zurückkam, hat er Bier getrunken. Es fängt immer mit Bier an. Jake nahm ihm die
Autoschlüssel weg, aber irgendwann hat er sie wohl einmal nachmachen lassen,
denn plötzlich war er wieder weg.«
»Wo?«
»Wie immer auf Sauftour. Als wir ihn
schließlich fanden, war es nach ein Uhr morgens, und er war in Wiley’s Taverne
bei Two Rock. Stockbesoffen. Er war in eine Schlägerei verwickelt gewesen,
hatte seine Jacke verloren und war kaum zu bändigen. Nur zu dritt konnten wir
ihn heimzerren.«
»Macht er das oft?«
»Oft genug. Er soll nicht fahren. Hat
seit Jahren schon keinen Führerschein mehr. Es hat mit dem Sheriff schon jede
Menge Ärger gegeben. Ich habe schreckliche Angst, daß ihn irgendeiner von den
Stellvertretern des Sheriffs einmal erschießen wird, und das wäre dann das Ende
von D. A.« Ihre Finger umklammerten die Kaffeetasse; ihre Nägel wurden ganz
weiß.
»Kann man denn nichts für ihn tun?«
»Denken Sie an einen Psychiater oder
ein Krankenhaus für Drogenabhängige?«
»Das wären doch Möglichkeiten.«
Sie lachte bitter. »Und wie soll ich
das bezahlen? Schauen Sie sich doch um.« Sie deutete auf den Raum. »Sehen Sie
irgendwelche Gäste? Wir haben nicht einmal mehr ein Telefon. Sie haben es
letzten Monat abgestellt, weil wir die Rechnung nicht zahlen konnten.«
»Aber wenn D. A. seine Erbschaft
bekommt...«
»Jake und Harley haben das Geld schon
verplant, und ihre Pläne berücksichtigen D.A.s Wohlbefinden in keiner Weise.«
Ihre Stimme war lauter geworden. Sie warf einen Blick über ihre Schulter in
Richtung Tür und senkte sie wieder. »Außerdem ist D. A. sowieso nicht zu helfen.
Irgendwas in diesem Mann ist zerbrochen. Das muß passiert sein, als er im
Gefängnis war. Wußten Sie, daß er im Gefängnis war?«
Ich wußte es selbstverständlich nicht,
aber ihre Enthüllung überraschte mich nicht. Gefängnisse tun den meisten
Menschen Schreckliches an, und vor allem denen, die weder stark noch unsensibel
sind. Taylor hatte selbst zugegeben, daß er kein starker Mensch sei; von meinen
eigenen Beobachtungen wußte ich, daß er nicht oberflächlich und nicht abgebrüht
war. Anstatt Mias Frage direkt zu beantworten, sagte ich: »Ich weiß nicht, aus
welchem Grund man ihn ins Gefängnis steckte.«
»Ich auch nicht. Ich war damals noch
nicht einmal auf der Welt. D. A. spricht nicht davon, oder zumindest sagt er
nichts, was irgendwelchen Sinn ergibt. Jake und Harley wollen nicht
davon sprechen. Ich weiß nur, daß es mit Vietnam zu tun hatte und damit, daß D.
A. und seine Freunde gegen den Krieg waren. Die ganze Sache war dumm, wenn Sie
mich fragen. D. A. hatte die Möglichkeit, aufs College zu gehen und im Leben etwas
zu erreichen, und statt dessen hat er sein ganzes Leben ruiniert.« Sie hielt
inne. »Was passiert ist, ist jetzt wohl gleichgültig. Nun ist nur noch wichtig,
daß er mein Mann und der Vater meiner Kinder ist und ich mich um ihn kümmern
muß.«
Ich schwieg einen Augenblick lang und
dachte über die Leute auf dieser Welt nach, die immer jemanden finden, der sich
um sie kümmert. Während einige von ihnen wirklich hilflos sind, sind andere
wiederum äußerst geschickt, wenn es gilt, Freunden oder Angehörigen die Verantwortung
für ihr Leben aufzubürden. Ich spürte, daß sich bei D. A. Taylor diese beiden
Typen auf eigenartige Weise vermischten, und ich fragte mich, ob seine junge
Frau sich dessen bewußt war. Es war jedoch nicht an mir, sie auf diesen
Wesenszug ihres Mannes aufmerksam zu machen.
»Mrs. Taylor...«
»Mia. Ich mag dieses Mrs. nicht. Da
fühle ich mich so alt.«
»Mia, hat D. A. Ihnen gegenüber je
einen Mann namens Tom Grant erwähnt?«
»...Nicht, daß ich wüßte.«
»Und eine Jenny Ruhl?«
»Wer ist das?« Aus ihrer schnellen und
reflexartigen Antwort klang Mißtrauen. Ich spürte, daß sie von Natur aus
eifersüchtig war und daß ihr ihr Mann vielleicht auch Grund dazu gegeben hatte.
»Sie ist schon seit langem tot.«
»Oh. Nein, den Namen habe ich noch nie
gehört.«
Ich griff in das mit einem
Reißverschluß versehene Fach meiner Tasche und holte das Medaillon heraus, das
ich
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