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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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hatte. Aber damals konnte man mit Kommunen schon die Straßen
pflastern, und als er darüber nachdachte, stellte er fest, daß es für den
Artikel wohl schon zu spät sei.«
    Ich schwieg und dachte darüber nach,
was Widdows mir erzählt hatte. Schließlich fragte er: »Habe ich Ihnen
geholfen?«
    »Ja, das haben Sie. Ich bin erst Jahre
später nach Berkeley gekommen. Sie haben mir ein Gefühl für diese Zeit
vermittelt. Und jetzt will ich Sie nicht länger von der Arbeit abhalten.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mir
damit einen Gefallen erweisen.«
    Auf dem Weg zum Auto zeigte mir Widdows
in seinem Gemüsegarten die preisgekrönte Tomate. Ich gestand ihm, daß ich bei
Hauspflanzen keine sehr glückliche Hand hatte, und er meinte lächelnd, daß
Gießen manchmal helfe. Nachdem ich eingestiegen war, lehnte er sich an den
Türrahmen meines MGs und schaute durch das offene Fenster auf mich herab.
    »Haben Sie Lust, mal mit mir
auszugehen?« fragte er.
    Ich zögerte und dachte, daß mir
eigentlich Männer lieber waren, die ein bißchen mehr auf dem Boden der
Tatsachen standen als er. Aber dann dachte ich, was soll’s. »Ja, gerne.«
    »Großartig. Ich ruf’ Sie bald an, oder
Sie rufen mich an. Wir könnten ins Theater oder ins Konzert gehen. Oder zum
Picknick. Oder«, fügte er hinzu, »ich könnte Ihren Pflanzen einen Hausbesuch
abstatten.«

15
     
    Als ich Berkeley verließ, hatte ich
keine Lust, ins Büro zurückzufahren; dort warteten nur Routinearbeiten auf
mich, und mir stand der Sinn nach interessanteren Aufgaben. Also beschloß ich,
über die Richmond Bridge nach Marin County zu fahren und Mia Taylor einen
Besuch abzustatten.
    Der Nebel lauerte immer noch auf dem
Meer, der Wind fegte in Böen über die Landzunge von West Marin hinweg, und das
gekräuselte Wasser in der Tomales-Bucht spiegelte den leuchtendblauen Himmel
wider. Die Sonne ließ die Zypressen- und Eukalyptushaine grüner erscheinen, und
die sonnenverbrannten Hügel leuchteten in warmen Brauntönen. Auf meiner Fahrt
registrierte ich die Schönheit der Natur, aber ich konnte ihr nur geringe
Aufmerksamkeit schenken. Meine Gedanken waren mit der Vergangenheit und ihren
möglichen Auswirkungen auf die Gegenwart beschäftigt.
    Als ich bei Taylors Austernbar eintraf,
parkten ein paar fahrtüchtig aussehende Fahrzeuge mehr auf dem Parkplatz, aber
im Restaurant waren wieder keine Gäste. Eine schlanke, in blaue Jeans
gekleidete junge Frau mit hüftlangem schwarzen Haar schrubbte mit einem Lumpen
einen der mit Wachstuch überzogenen Tische. Als sie hörte, wie die Tür hinter
mir ins Schloß fiel, wandte sie sich mit wehendem Haar um. Ihr Gesicht war
bronzefarben, sie hatte auffallende, schöne Gesichtszüge.
    Ich fragte: »Sind Sie Mia Taylor?«
    Sie nickte und musterte mich mit
gerunzelter Stirn. Einen Augenblick lang überraschte mich ihr fragender Blick;
dann wurde mir klar, daß sie vermutlich versuchte, mich irgendwo in ihrer
großen Familie einzuordnen. Wie ich Libby Ross schon am Vortag erzählt hatte,
habe ich zwar nur ein Achtel Schoschonenblut in meinen Adern, aber es verrät
sich doch in meiner Haarfarbe und den hohen Backenknochen. Ich mache mir selten
über meine indianische Herkunft oder das schottischirische Blut meiner
genetischen Mischung Gedanken. Diese Einstellung ist typisch für das Schicksal
der ethnischen Gruppen in den Vereinigten Staaten. Ich nehme an, dieses
Verwischen von Unterschieden ist im Grunde ganz gut. Andererseits ist es aber
auch schade, daß wir das Bewußtsein unserer Wurzeln, die Beziehung zu der
Geschichte und den Traditionen, die uns prägten, verloren haben.
    Um Mrs. Taylor weiteres Grübeln zu
ersparen, sagte ich: »Ich bin Sharon McCone, Ermittlerin vom Anwaltsbüro All
Souls. Ist Ihr Mann zu sprechen?«
    »Nein«, sagte sie schnell. »D. A. ist
krank.« Ihre Nasenflügel zitterten verächtlich. »Völlig hinüber, wenn Sie es
genau wissen wollen.« Sie ging hinter die Theke und warf den Lumpen in den
Ausguß. Ihr Körper war steif vor Anspannung; sie griff nach der Ecke des
Tresens und bemühte sich, ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Nach
einem Moment war der Ton ihrer Stimme freundlicher. »Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Das ist eine gute Idee. Gerne.«
    Sie zuckte die Achseln und schenkte
zwei Tassen aus der Kanne auf der Wärmeplatte ein. »Schwarz?«
    »Ja, bitte.«
    Sie trug den Kaffee zu dem Tisch, den
sie geputzt hatte, und winkte mir, Platz zu nehmen. Mit ausdruckslosem Gesicht
setzte

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