Tote Pracht
hatte, sie wüßte, wer mein Vater sei.
Aber in Wirklichkeit sei sie eine Herumtreiberin gewesen, die es mit jedem
getrieben habe.«
»Haben Sie ihm geglaubt?«
»Nein. Wenn man so viele Leute
interviewt hat wie ich, spürt man, wenn jemand lügt. Sie kennen das vielleicht.«
»Haben Sie ihn gefragt, ob er der Mann
war, der Sie bei Ben und Nilla besuchte?«
Sie beugte sich nach vorn und legte ihr
Gesicht auf ihre Handflächen.
Ihre Stimme klang gedämpft. »Er gab es
zu. Er sagte, meine Mutter habe jemanden gebraucht, der sie hinfuhr, deshalb
wäre er mitgekommen. Er sagte mir, daß ich ein nettes, kleines Ding gewesen
sei, wie ich so auf seinem Schoß saß und mit den Enden der Lederriemen spielte,
an denen sein Friedensmedaillon befestigt war.«
Das war also das Medaillon, das die
Gruppe in mehrere Talismane zerbrochen hatte. Ich dachte an die kleinen
Metallwölbungen auf der Rückseite der beiden Teile, die ich in meiner Tasche
hatte. An ihnen war wohl der Riemen verlaufen.
Goodhue fügte hinzu: »Und dann fiel mir
alles wieder ganz deutlich ein: der große, graue Metallklipp und darüber sein
Gesicht — so wie er damals aussah. Und ebenso deutlich sah ich meine Mutter
neben uns knien. Sie sah hübscher aus als je zuvor und sagte: ›Liebling, das
ist dein Vater.‹« Einen Moment schwieg sie und weinte leise vor sich hin. Dann
hob sie ihr tränennasses Gesicht.
»So wie er sprach, hatte ich das
Gefühl, daß er mir gegenüber nachgiebiger wurde. Aber als ich ihm erzählte, daß
ich mich daran erinnere, was meine Mutter gesagt habe, fing er wieder an, ihren
Charakter in den Schmutz zu ziehen, sie sei nicht nur eine Hure, sondern auch
psychisch instabil gewesen und habe schon lange vor der Sache in Port Chicago
einen Zusammenbruch gehabt. Deswegen habe sie dann auch gegen die anderen
ausgesagt. Später, als nur noch sie beide in der Wohnung in Fillmore lebten,
habe sie immer wieder von Selbstmord gesprochen und schließlich die Waffe
genommen, die die anderen zurückgelassen hatten, und... aber das wissen Sie ja
sowieso.«
Irgend etwas stimmte da aber nicht. Cal
Hurley hatte mir erzählt, daß die FBI-Beamten die Wohnung auf der Suche nach
Beweismaterial durchsucht hätten. Wenn die Waffe noch dagewesen wäre, hätten
sie sie gefunden.
»Erzählte Ihnen Grant, daß er bei dem
Bombenanschlag auf Port Chicago nicht dabeigewesen wäre?«
»Er sagte, daß er dabei war, aber etwas
sehr Feiges getan habe. Als er die FBI-Beamten sah, habe er einem anderen Mann
seine Waffe in die Hand gedrückt und habe sich zurückgezogen. Ein
Weather-Kollektiv habe ihn bis zum Ende des Prozesses in Oakland versteckt.
Danach seien er und meine Mutter wieder zusammengekommen.«
Der zweite Widerspruch zu Cal Hurleys
Bericht. Der alte Mann hatte gesagt, daß Grant in der Wohnung in der Page
Street gewesen sei, als die Agenten sie durchsuchten. Ich neigte eher dazu,
Hurleys Version Glauben zu schenken, denn er hatte keinen Grund zu lügen.
Goodhue fügte hinzu: »Grant sagte, daß
er für längere Zeit bei dem Weather-Kollektiv untergetaucht sei, sich dann
falsche Papiere und eine neue Identität besorgt und dann Jura studiert habe.
Aber er behauptete auch, daß diese Ereignisse sein ganzes Leben ruiniert
hätten. Er schäme sich seiner Feigheit und lebe in beständiger Angst, daß ihn
irgendwann jemand erkennen könnte und alles zerstören würde, was er sich aufgebaut
habe. Er wurde richtig rührselig und heulte fast. Ich spürte, daß er auf mein
Mitgefühl aus war. Aber nach dem, was er über meine Mutter gesagt hatte, tat er
mir überhaupt nicht leid.«
Sein Leben ruiniert. Das hatte auch Perry Hilderly zu
seinem Arbeitgeber über Grant gesagt, nachdem er Grant auf dem Steuerseminar
getroffen hatte. War Grant auch sentimental geworden, als er Perry beim
Mittagessen in Tommy’s Joynt eine ähnliche Geschichte erzählt hatte? Hatte er
vielleicht noch ein paar herzzerreißende Einzelheiten über den Umstand
hinzugefügt, daß er in solcher Angst lebte und sich nicht einmal zu seiner
eigenen Tochter bekennen konnte?
Ich fragte mich, ob Grant, der früher
schon von Goodhue interviewt worden war, ihre unglaubliche Ähnlichkeit mit Jenny
Ruhl nicht bemerkt hatte. Und der Name Goodhue müßte ihm auch bekannt
vorgekommen sein, nachdem er Ben und Nilla in ihrem Haus im Portola-Viertel
besucht hatte. Es hätte mich nicht überrascht, wenn Grant Jess’ Identität hätte
überprüfen lassen, um herauszufinden, ob sie tatsächlich
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