Tote Pracht
zu.
Um fünf vor sieben betrat ein großer
Mann mit lockigem Haar die Halle und sagte, daß er mit jemandem namens Rick
verabredet sei und wissen wolle, ob und wo dieser im Gebäude zu finden sei.
»Im Studio D«, antwortete der Empfangschef,
und seine Hand betätigte automatisch den Türöffner.
Der Mann eilte zur Tür hinüber, drückte
sie gleich beim Ertönen des Türöffners auf und ging hinein. Ich erwischte die
Tür, bevor sie wieder zufiel, und schlüpfte ebenfalls hinein. Der Mann war
schon weit vorn, am anderen Ende des Ganges, und bemerkte mich nicht.
Im Nachrichtenraum herrschte noch
größere Hektik als am Montag nachmittag: Telefone läuteten; Leute liefen
durcheinander; der Ton der Monitore war laut eingestellt; und die
Nachrichtensendungen der Konkurrenz verschmolzen zu einem unverständlichen
Geplapper. Ich trat forsch ein, als ob ich hier zu tun hätte, und ging
schnurstracks zu Goodhues leerer Kabine.
Ihr Schreibtisch war mit Papier
übersät: Skripten, Rundschreiben, Korrespondenz, eine Ausgabe des Examiner, Seiten
von einem gelben Notizblock. Ich wollte mich gerade hinsetzen, als eines der
Blätter meine Aufmerksamkeit erregte; es war mit Kritzeleien bedeckt, die wie
grobe Zeichnungen von Tom Grants Fetischen aussahen. Oben auf dem Blatt stand
ein Name und eine Telefonnummer — Harry Sullivan. Sullivan ist einer der besten
Strafverteidiger in der Stadt; es sah aus, als ob Goodhue vorhatte, ihn zu
konsultieren.
Schnell blätterte ich durch den
Terminkalender, der auf ihrem Schreibtisch lag. Unter den zahllosen
Eintragungen und Notizen fand sich kein Termin mit Sullivan. Goodhue hatte
offenbar erwogen, ihn anzurufen. Es war ironisch, was sie so zusammenkritzelte,
während sie darüber nachdachte.
Im Nachrichtenraum wurde es lauter. Ich
erkannte die Stimme von Jess Goodhue. Schritte näherten sich der Kabine. Ich
wandte mich um, als sie und Les Gates eintraten.
Gates schien etwas überrascht zu sein,
hier einen Fremden zu sehen. Goodhue erbleichte. »Sie!«Ihre Augen flogen von
mir zu dem gelben Blatt auf ihrem Schreibtisch; als sie mich wieder anblickte,
waren sie von Angst erfüllt. Ihr Mund zuckte, als ob ihr plötzlich schlecht
würde.
»Jess, wir müssen miteinander reden«,
sagte ich.
Sie trat einen Schritt zurück. »Nein.«
Gates runzelte die Stirn. »Jess, was
ist los? Soll ich den Wachposten rufen?«
»Nein!« Sie drehte sich abrupt herum,
wobei sie eine vorübergehende Frau anrempelte.
»Warten Sie«, sagte ich.
Goodhue rannte zur Tür des
Nachrichtenraumes.
Gates hielt mich am Arm fest. »Was ist
hier los? Warten Sie einen Augenblick — sind Sie nicht die Detektivin, die den
Heckenschützen geschnappt hat? Wie kommen Sie hierher...«
Ein typischer Nachrichtenmensch, nichts
als Fragen. Ich riß mich los und rannte hinter Goodhue her. Die Tür zur Halle
fiel gerade zu. Ich rannte hinüber, riß sie auf und sah, wie Jess gerade durch
die Eingangstür rannte. Als ich durch die Halle hinter ihr her stürmte, rief
mir der Empfangschef nach: »Heh, was haben Sie dort hinten zu suchen?«
Der Embarcadero draußen war in grauen
Nebel gehüllt. In beiden Richtungen herrschte lebhafter Verkehr; von oben
ertönte das Brummen der Autos auf der Bay Bridge. Goodhue rannte ungeschickt
über die Eisenbahngeleise, die vor dem Gebäude entlangführten. Die Spitze ihres
hochhackigen Schuhes verfing sich in einer Schiene, sie stolperte, richtete
sich wieder auf und lief weiter.
Ich schrie ihr nach, sie solle stehenbleiben,
aber sie hielt nicht einmal am Bordstein an. Von Autos und Lastern umtost,
überquerte sie den Embarcadero. Ein Sportwagen legte eine Vollbremsung hin und
verfehlte sie nur um ein Haar. Ein Hupkonzert ertönte. Goodhue lief zum Kai auf
der anderen Seite. Sie schien das ganze Durcheinander überhaupt nicht zu
bemerken.
Ich folgte ihr und wurde fast von einem
Möbelwagen erfaßt, dessen Fahrer mich wüst beschimpfte. Goodhue hatte den
Bürgersteig erreicht, bog nach links ab und rannte an der Feuerwehr-Bootstation
vorbei. Ich trat auf den Zebrastreifen hinaus, hob die Hand wie ein
Verkehrspolizist, um ein heranfahrendes Auto zu stoppen. Der Fahrer schaute
verblüfft drein, als ich vor ihm über die Straße stürmte und den Bürgersteig
hinablief.
Es war kalt, und von der Bucht wehte
ein heftiger Wind herein, der nach Kreosot und Salzwasser roch. Vor mir brachte
eine Windbö Goodhue, die gerade die breite Uferpromenade erreicht hatte, aus
dem Gleichgewicht. Ich passierte
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