Tote Pracht
Beine helfen. Als wir die Promenade erreichten, begegneten wir Les Gates
und dem glatzköpfigen Mann aus dem Nachrichtenraum, die sich auf die Suche nach
uns begeben hatten. Gemeinsam brachten wir Goodhue in ihre Garderobe zurück.
Gates und der andere Mann wollten uns nicht allein lassen, aber Goodhue
schickte sie weg. Für jemanden, der noch vor kurzem weinend durch die Bucht
gewatet war, war sie schon wieder erstaunlich beherrscht. Während sie sich
etwas Trockenes anzog, ging ich zu meinem Auto und holte mein Übernachtungsset
aus dem Kofferraum. Ich zog einen frischen Pullover und trockene Jeans an und
Goodhue einen warmen Bademantel, und dann setzten wir uns zu unserem Gespräch.
»Jess, es gibt mildernde Umstände, was
Grants Tod betrifft. Ich sah, daß Sie Harry Sullivans Nummer aufgeschrieben
haben. Ein guter Rechtsanwalt wie er...«
»...kann einen Freispruch
herbeiführen«, beendete sie den Satz. »Aber mein Leben ist trotzdem zerstört.
Meine Karriere gescheitert. Und wie kann ich mit dem leben, was ich getan habe?
Ich sehe ihn immer vor mir...«
»Tom Grant — Ihren Vater.«
Nach kurzem Zögern nickte sie und
senkte den Kopf, so daß ich ihr Gesicht nicht sehen konnte.
»Sie haben den Bericht über Ihre Mutter
am Dienstag nachmittag abgeholt...«
Nun sah sie auf. »Woher wissen Sie...«
»Das ist jetzt unwichtig. Sie lasen in
dem Bericht, daß ein Mann namens Andy Wrightman Ihr Vater war. Später an diesem
Nachmittag rief ich an und erwähnte, daß einer der anderen Erben etwas über ›the
right man‹ gesagt hatte, als ich ihm Tom Grant beschrieb. Also beschlossen Sie,
Grant zu besuchen, aber Sie nannten ihm nicht den wirklichen Grund, warum Sie
ihn sehen wollten. Erzählten Sie ihm, daß Sie ihn wieder für eine Sendung
interviewen wollten?«
»...Ja.«
»Und was passierte, als Sie bei ihm zu
Hause eintrafen?«
Sie seufzte tief. »Warum soll ich das
erzählen? Das Ergebnis bleibt das gleiche.«
»Sie werden früher oder später davon
sprechen müssen. Ich kann der Polizei diese Informationen unmöglich
verschweigen.«
Goodhue starrte ins Dunkel, ihr Gesicht
wurde von dem unbeleuchteten Spiegel über ihrem Garderobentisch düster
reflektiert. Aus irgendeinem Grund erinnerte sie mich an D. A. Taylor, wie er
auf Hog Island hinausschaute, und ich wußte, daß ihre Gedanken so trostlos
waren wie die, denen D. A. nachhing. Obwohl ich nicht glaubte, daß sie sich
wirklich umbringen wollte, hatte ich Angst um Jess. Ich wollte sie in die
Gegenwart zurückholen, diese neue, zerbrechliche Person mit der starken,
selbstsicheren Frau in Einklang bringen, die sie bis vor zwei Tagen gewesen
war. Aber ich hatte meine Zweifel, daß mir dies gelingen würde.
Schließlich richtete sich ihr Blick auf
mich. »Warum wollen Sie all das wissen?«
»Ich möchte Ihnen helfen, wenn ich
kann. Und wie ich Ihnen schon am Montag sagte, liegt mir etwas an der
Wahrheit.«
Nach einer Pause sagte sie: »Also gut —
die Wahrheit. Ich ging gleich nach den Vorabendnachrichten zu ihm. Niemand sah
mich das Studio verlassen; sie nahmen alle an, daß ich mich in meiner Garderobe
ausruhte. Ich machte mich hübsch.« Ihre Lippen zuckten spöttisch. »Papis
kleiner Liebling wollte einen guten Eindruck machen. Aber da war irgend etwas
in seinem Verhalten... ich konnte ihn nicht gleich fragen. Wir nahmen in seinem
Büro einen Drink. Ich suchte fieberhaft nach einem geeigneten Einstieg. Ich
fragte ihn nach diesen schrecklichen... wie nannte er sie noch?«
»Fetischen.«
Sie schloß die Augen und schluckte.
»Widerliche Dinger. Und wie er über sie sprach... er wollte einen bewußt
schockieren. Er führte mich in sein Atelier hinten im Hof und zeigte mir... das
Zeug, aus dem er sein neuestes ›Kunstwerk‹ herstellte. Und dann... oh, Gott!«
»Was, Jess?«
»Der Mistkerl machte mich an. Seine
eigene Tochter. Und dann habe ich es einfach herausgesprudelt.«
»Wie reagierte er?«
»Anfangs war er sehr überrascht — mehr
darüber, glaube ich, daß ich es wußte. Er versuchte nicht abzustreiten, daß er
meine Mutter kannte oder daß er in Wirklichkeit Andy Wrightman hieß. Dann ging
er in die Defensive, wurde nervös, sagte, daß ich mich irren müsse, daß er
nicht mein Vater sein könnte, weil er Berkeley schon vor meiner Geburt
verlassen hatte. Ich hatte den Bericht des Detektivs dabei und zeigte ihn vor.
Er las ihn und lachte — ein gezwungenes Lachen. Er meinte, daß Jenny ihrer
konservativen Freundin natürlich erzählt
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