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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Bericht. Neunundfünfzig.«
    »Gut. Und wann war er mit dem
Jurastudium an der University of Illinois fertig?«
    »Zweiundsechzig.«
    »Der Mistkerl hat nur gelogen. Steht da
irgend etwas darüber, was er unmittelbar nach dem Jurastudium machte?«
    »Hm... nein, sie erwähnen nur seine ›recht
ungewöhnliche Spezialisierung als Anwalt« Aber nichts darüber, seit wann er als
Anwalt arbeitet.«
    Das hatte ich fast vermutet.
    »Shar, worum geht...«
    »Das erzähl’ ich dir später. Danke.«
Ich schnitt ihren Protest ab, indem ich einfach auflegte.
    Als ich durch den Nachrichtenraum ging,
winkte Goodhue mir zu. Ich ging zu ihr.
    »Ich habe Harry Sullivans Kanzlei
erreicht und seine Mitarbeiter überzeugt, daß hier ein Notfall vorliegt«, sagte
sie. »Er wird mich zurückrufen.«
    »Gut. Wenn Sie mit ihm sprechen, bitten
Sie ihn, mich anzurufen, bevor er mit der Polizei spricht. Vielleicht kann ich
Sie ganz aus der Sache raushalten. Und geben Sie mir bitte Ihre Privatnummer,
für den Fall, daß ich Sie erreichen muß.«
    Sie schrieb die Nummer auf eine Visitenkarte.
»Warum tun Sie das für mich?«
    »Ich mag Leute mit Mut. Sie haben in
Ihrem Leben schon einiges geschafft. Ich will nicht, daß Sie wegen eines
kleinen Fehlers leiden müssen. Außerdem tue ich es auch für mich selbst — für
mein Bedürfnis, die Wahrheit herauszufinden.«
    »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie
dankbar ich Ihnen bin. Aber heute abend habe ich mich überhaupt nicht mutig
benommen. Ich habe mich in die Bucht gestürzt wie Anna Karenina unter den Zug
und gewimmert und geschnieft. Es ist meine Schuld, wenn wir uns beide eine
schreckliche Erkältung geholt haben.«
    »Wir wimmern und schniefen alle ab und
zu«, sagte ich. »Seien Sie froh, daß Sie es schon so früh im Leben hinter sich
gebracht haben.«
    »Wissen Sie, ich glaube, ich werde
meine Vergangenheit jetzt einfach hinter mir lassen und mich auf mein eigenes
Leben und meine Zukunft konzentrieren. Meine Mutter hat sich umgebracht, und
mein Vater hat mich verleugnet. Aber ihre Probleme haben nichts mit mir zu tun.
Auch die Familie meiner Mutter wollte mich nicht. Was soll’s — selbst schuld.«
    Ich riet ihr, die Ohren steifzuhalten,
und verließ das Studio.
     
    Auf der Fahrt nach West Marin dachte
ich über verschiedene, anscheinend unzusammenhängende Informationsfetzen nach,
die ich in den letzten fünf Tagen gesammelt hatte: Was Cal Hurley mir über Tom
Grant erzählt hatte; Grants Lügen über seine Vergangenheit; Luke Widdows’
Gedanken über bestimmte Entwicklungen in den sechziger Jahren. Ich dachte über
Perry Hilderly nach, darüber, was Kurt mir erzählt hatte, diese Andeutungen
über sein »wichtigstes Ideal«; und über einen normalerweise überkorrekten
Polizeibeamten, der anscheinend etwas vertuschte.
    Und ich dachte an Träume, die manchmal
visuelle Wortspiele sind und Träumende etwas erkennen lassen, was sie eigentlich
schon wußten...
    Es war nach zehn, als ich in Inverness
ankam. Das Dorf war bereits schlafen gegangen, nur das tschechische Restaurant
hatte noch geöffnet. Ich fuhr die Küste entlang an den dunklen Hütten vorbei
und kurvte dann durch den Nadelwald bergauf. Aus den Niederungen zwischen den
Hügeln stieg Nebel auf; der Mond war nicht zu sehen. Auf der kahlen Landzunge
verdichtete sich der Nebel und legte sich über meine Windschutzscheibe. Die
Scheibenwischer verschmierten das Glas. Es war, als ob die Scheinwerfer
reflektiert würden von einer undurchdringlichen weißen Wand. Außer den
Zaunpfosten am Straßenrand konnte ich nichts ausmachen.
    Der Wind blies heftig und rüttelte so
stark an dem kleinen Auto, daß die Reifen Mühe hatten, sich am Pflaster
festzuhalten. Ich verlangsamte die Fahrt bis auf dreißig Stundenkilometer und
öffnete das Fenster, um die Arbeit des schwachen Ventilators zu erleichtern.
Als ich in die scharfe Kurve oberhalb der Moon Ridge-Reitställe fuhr, sah ich,
daß der Nebel auf dieser Seite der Landzunge weniger dicht war und wieder aufs
Meer hinaustrieb. Abbotts Lagune war ein schwarzer Fleck in der Landschaft; auf
dem Meer brandete die Gischt ununterbrochen heran.
    Die Ranchgebäude in der Niederung lagen
im Dunkeln; aber über die Viehweide bewegten sich zwei Lichter. Ich bog auf die
holprige Zufahrtsstraße ab und rumpelte hügelabwärts. Die Lichter näherten sich
schnell. Als ich das Viehgitter passierte, hinter dem das Land steil abfiel,
bog das andere Fahrzeug plötzlich kurz vor mir um die Kurve.
    Ich trat

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