Tote Pracht
seine Tochter war.
Hilderly, andererseits, hatte
vollkommen in der Vergangenheit gelebt und vermutlich nur selten
Nachrichtensendungen im Fernsehen gesehen. Wahrscheinlich hatte er nichts über
den Verbleib von Jenny Ruhls Tochter gewußt, bis ihm Grant davon erzählte. Und
dieser beklagenswerte Umstand in Grants Trauermärchen hatte ihn, der für seine
Söhne praktisch ein Fremder war, sicherlich tief berührt. Die Bande, von denen
er glaubte, daß sie zwischen ihm und seinem früheren Freund bestünden, wurden
so sicherlich noch verstärkt. Dies zeigte sich auch in der Tatsache, daß er
Gene Carver gegenüber erwähnte, daß er sich selbst in Grant wieder erkenne.
Aber an Grants Geschichte stimmte eine
ganze Menge nicht.
»Was passierte dann?« fragte ich.
»Er drohte mir auf sehr subtile Art und
Weise. Er meinte, es wäre gefährlich für mich, jemanden in seiner Position zu
beschuldigen. Aber er konnte mir keine Angst einjagen. Es machte mich nur
traurig. Ich fing an zu weinen. Er legte die Arme um mich und sagte, ich solle
wieder fröhlich sein. Er sagte, daß wir sehr gute Freunde sein könnten,
auch wenn er nicht mein Vater sei. Und dann merkte ich, daß er mich schon
wieder anmachte — dieser Mann, der wirklich mein Vater war, der das auch wußte,
ganz gleich was er sagte.« Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen; Tränen
quollen durch ihre gespreizten Finger.
»Ich hatte endlich meinen Vater
gefunden«, fügte sie hinzu, »und mußte feststellen, daß er pervers war.«
Das bezweifelte ich. Ich vermutete, daß
Grant sie nur schockieren wollte, in der Hoffnung, sie ließe ihn dann in Ruhe.
Es gab etwas in seiner Vergangenheit, von dem niemand erfahren sollte — aber
das war nicht die Geschichte, die er ihr erzählt hatte.
Nach einer Weile holte sich Goodhue ein
paar Taschentücher und wischte sich über das Gesicht. Sie setzte sich auf den
Stuhl an ihrem Schminktisch und starrte vor sich hin. In Gedanken durchlebte
sie nochmals die düsteren Ereignisse des Mittwochabends.
»Erzählen Sie mir den Rest«, sagte ich
mit sanfter Stimme.
»Der Rest ist nur... häßlich.«
»Schlucken Sie es nicht hinunter.«
Ein langes Schweigen. Dann sprach sie
sehr schnell; sie wollte es möglichst rasch hinter sich bringen. »Ich war
zornig. Stieß ihn heftig zurück. Er stolperte, wollte sich an mir festhalten.
Ich stieß ihn wieder weg. Er stürzte, und sein Kopf knallte auf das Eisenbein
des Arbeitstisches. Und dann lag er da und blutete.«
»Und dann?«
»Ich bin weggelaufen. Gerannt. Ich war
schon ein ganzes Stück entfernt, als ich merkte, daß ich meinen Mantel in
seinem Büro vergessen hatte. Ich ging zurück und holte ihn. Da standen noch die
Gläser, aus denen wir getrunken hatten. Ich stellte sie in den Schrank unter
die Bar zurück. Dann läutete das Telefon. Ich geriet in Panik und lief durch
den Haupteingang aus dem Haus.«
Ich runzelte die Stirn. In ihrer
Geschichte klaffte ein großes Loch. Hatte sie die Erinnerung daran, wie heftig
sie Grant angegriffen hatte, verdrängt?
»Jess«, sagte ich, »denken Sie nochmals
an das Studio, nachdem Grant gestürzt war. Haben Sie irgend etwas berührt?«
»Was denn?«
»Etwa den Fetisch, an dem er
arbeitete?«
»Nein.«
»Und seinen Körper? Haben Sie ihn
berührt, um festzustellen, ob er wirklich tot war, oder...«
»Ich konnte ihn nicht berühren.
Später hoffte ich, daß er nur bewußtlos wäre. Aber als ich wieder im Sendehaus
war, hörte ich im Polizeifunk die Berichte... Ich wußte, daß ich nicht im
Fernsehen über einen Mord berichten konnte, den ich selbst begangen hatte.
Deshalb bin ich nach Hause gegangen, und einer der Nachrichtensprecher vom
Wochenende hat mich vertreten. Ich mußte gar nicht so tun, als ob mir schlecht
sei — mir war schlecht.«
»Haben Sie an jenem Abend Nachrichten
gesehen? Haben Sie am nächsten Tag die Berichte in den Zeitungen gelesen?«
»Nur den Artikel im Chronicle. Ich wollte wissen, ob man irgendeinen Verdacht hatte... aber offenbar nicht.«
In dem Zeitungsartikel hatte nur
gestanden, daß Grant durch Schläge auf den Kopf getötet worden war; die Polizei
hatte nichts von der Grausamkeit des Überfalls und der Mordwaffe erwähnt. In
ihrer Panik hatte Goodhue die Pluralform vielleicht überlesen oder angenommen,
daß sich der Reporter geirrt habe. Ich war aber noch nicht bereit, ihre
Geschichte ganz zu glauben; ich bat sie, mir noch mal alles von vorne zu
erzählen. Das tat sie, wobei die geringen
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