Tote Pracht
die Feuerwehrstation und holte auf.
Goodhue stolperte, schaute über die
Schulter zurück und sah mich. Sie warf einen Blick auf den vorbeibrausenden
Verkehr und dann auf die brusthohe Uferböschung zu ihrer Rechten. Einen
Augenblick lang glaubte ich, sie würde hochklettern und sich in die Bucht stürzen.
Dann streifte sie die Schuhe ab und lief schneller.
Vor uns lag ein Betonbunker mit einem
Fahnenmast — Teil eines Projekts zur Verschönerung der Uferpromenade, das nicht
so recht gelungen schien. Dort verbreiterte sich die Promenade und ragte in die
Bucht hinein. Goodhue bog scharf nach rechts ab und verschwand plötzlich aus
meinem Blickfeld. Ich beschleunigte mein Tempo, erreichte die Ecke der
Ufermauer und umrundete sie.
Auf der anderen Seite gab es einen
Streifen zwischen der Mauer und einem Arm der Promenade, der wie eine große
Bootsschlippe aussah. Treppen führten hinab und verschwanden unter den
hereinbrechenden Wellen. Dort lief Goodhue hinab. Ich schrie sie an, sie solle
stehenbleiben. Als sie die unterste Stufe erreichte, zögerte sie nicht eine
Sekunde und watete ins Wasser hinein.
Zwei Landekais aus Beton erhoben sich
in der Mitte der Schlippe ein paar Meter über das Wasser — ein weiterer Teil
des Bauplans, der nicht recht durchdacht worden war, denn trockenen Fußes
konnte man die Kais nicht erreichen. Goodhue stapfte auf sie zu. Sie stand nun
bis zu den Knien im Wasser. Ich rannte die Stufen hinunter und watete ihr nach;
das eisige Wasser drang durch meine Turnschuhe.
Goodhue erreichte den Pier und
klammerte sich mit ausgestreckten Armen daran fest. Die Wellen schwappten gegen
ihre Taille, und die Gischt bespritzte den Rücken ihrer braunen Kostümjacke.
Gegen die starke Strömung ankämpfend, näherte ich mich ihr. Sie weinte, ihre
Fingernägel suchten in dem Beton Halt. Als ich hinter sie trat und sie bei den
Schultern packte, zuckte sie zusammen.
»Kommen Sie, Jess«, sagte ich. »Raus
aus dem Wasser. Sonst holen wir uns noch beide eine Lungenentzündung.«
Sie schluchzte und warf den Kopf von
einer Seite zur anderen. Ihr Gesicht war gegen die rauhe Oberfläche der
Kaimauer gepreßt.
»Jess!«Ich schüttelte sie.
Sie murmelte etwas, das ich nicht
verstand.
»Was?«
»Mir gleich.«
»Hören Sie auf!« Ich riß sie an den
Schultern und zog sie in die Höhe. Sie sank gegen mich. Ich legte meinen
rechten Arm um sie und streckte den anderen aus, um das Gleichgewicht halten zu
können. Dann führte ich sie zu der Treppe zurück. Meine Füße waren jetzt
gefühllos. Auf halbem Weg stolperte sie, und wir gingen um ein Haar beide
unter.
»Verdammt noch mal, gehen Sie
gefälligst!« sagte ich.
Sie ging. Aber als wir die Treppe
erreichten, sank sie wieder in sich zusammen und setzte sich.
»Jess«, sagte ich, »stehen Sie auf!«
Sie schüttelte den Kopf, beugte sich
vornüber und umklammerte mit den Armen ihre nackten Knie. Ihr heller Rock klebte
an ihren Schenkeln, Wasser floß in Bächen an ihr herunter. Obwohl sie völlig
durchnäßt war, schien sie die Nässe und die Kälte nicht zu spüren. Schließlich
zog ich meine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern. Dann setzte ich
mich ein bißchen weiter unten und versuchte die Pfützen, die sich um sie herum
bildeten, zu vermeiden. Ich konnte sie nicht allein an einen warmen, trockenen
Ort schaffen. Es war offenbar, daß sie mir nicht helfen würde, und wir zwei
nassen, kämpfenden Frauen schienen niemandes Aufmerksamkeit erregt zu haben.
Zumindest bis jetzt nicht.
Ich wühlte in meiner feuchten
Schultertasche und stieß auf ein paar einigermaßen saubere Taschentücher, die
ich ihr in die Hand drückte. Sie rieb sich das Gesicht und putzte sich die
Nase.
»Was soll das alles?« fragte ich sie.
Sie antwortete nicht, kauerte sich nur
zusammen und umklammerte wieder ihre Knie.
»Ich glaube, ich weiß es sowieso«,
fügte ich hinzu. »Aber vielleicht ist es gar nicht so schlimm. Lassen Sie uns
darüber sprechen und überlegen, was wir tun können.«
»Es gibt nichts, was wir tun könnten.
Ich will sterben.«
Ich zweifelte daran, daß ihr »Bad« in
der Bucht ein Selbstmordversuch war; wahrscheinlich war sie in blinder Panik
ins Wasser gelaufen, aus Angst vor einer Begegnung mit mir und der
Konfrontation mit dem, was geschehen war. »Sie wollen nicht sterben, und Sie
wissen nicht, ob es nicht doch eine Lösung gibt. Kommen Sie, wir gehen ins
Studio zurück und sprechen über die Sache.«
Dieses Mal ließ sie sich von mir auf
die
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