Tote Stimmen
klappte sein Handy zu und fuhr sich mit der Hand über das kurzgeschorene Haar.
»Wir haben die Anrufe zurückverfolgen können«, sagte er. »Der erste wurde von dem Telefon unten getätigt. Der zweite, der auf Alisons Handy, wurde von der Straße draußen gemacht.«
Currie reimte sich zusammen, was geschehen war.
»Er hat also Ellis hineingehen sehen und dann die Aufnahme noch einmal abgespielt.«
»Scheint so. Sie gehen jetzt Wilcox’ Telefondaten durch und überprüfen die Gespräche der letzten zwei Wochen.«
Currie war klar, was sie herausfinden würden: dass der Mörder während der Gefangenschaft des Opfers seine üblichen Nachrichten an Wilcox’ Familie und Freunde geschickt hatte, gerade genug, dass sie überzeugt waren, sie sei am Leben und wohlauf. Erschreckend, dachte er, wie leicht es war, die Identität eines anderen Menschen anzunehmen. Wie abhängig die Gesellschaft von der letztlich unpersönlichen Kommunikationstechnik geworden war. E-Mails, SMS , Facebook-Profilseiten. Die Menschen hielten sich nicht mehr weiter mit persönlicher Kommunikation auf. Sie umflatterten das Leben anderer Mitmenschen wie Schmetterlinge.
Swann zeigte auf sein Telefon.
»Das war übrigens Collins.«
»Ja? Was wollte er?«
»Der Fall von häuslicher Gewalt. Erinnerst du dich?«
Currie hob eine Augenbraue.
Er erinnerte sich, obwohl der Ausdruck »häuslich« die Sache irgendwie angenehmer klingen ließ, als sei es nur um einen kleinlichen Streit gegangen. In Wirklichkeit war das Mädchen, Tori Edmonds, von ihrem Freund übel zusammengeschlagen worden. Aber so unschön das war, war es nicht die Art von Vorfall, der normalerweise lange im Gedächtnis blieb. Zwei Details hatten ihn jedoch aus der Menge der sonst üblichen Geschehnisse hervorgehoben.
Das erste war das Mädchen selbst. Etwas an Tori Edmonds war Currie aufgefallen, als er sie im Krankenhaus besuchte. Sie schien … nicht gerade unschuldig, aber offener und verletzlicher als die Menschen, die er sonst gewohnt war. Von dem Augenblick an, als er sie zum ersten Mal sah, war sein Beschützerinstinkt geweckt. Vielleicht war es tatsächlich so einfach. Seine Reaktion hatte ihn noch wütender werden lassen auf ihren missratenen Freund, einen Mann namens Eddie Berries. Currie teilte die Menschen in zwei Gruppen ein, wenn sie auf etwas Wertvolles stießen. Es gab die, die ihm Hochschätzung entgegenbrachten, und die, die es einfach nicht ertragen konnten. Diese Menschen hatten irgendwie immer den Drang, die anderen auf ihr Niveau herunterzuziehen.
Tori Edmonds schien ein nettes junges Mädchen zu sein, intelligent, klug und anständig. Je mehr er über ihren Freund Edward Berries erfuhr, desto schlechter schien er zu ihr zu passen: nach dem, was man von manchen hörte, ein mieser Dealer und Süchtiger, nach der Aussage vieler anderer ein Nichtsnutz. Nicht vorbestraft, aber wohl kaum ein toller Fang. Sie schienen jedenfalls als Paar schlecht zusammenzupassen. Aber andererseits gab sich Edmonds ja auch mit Charlie Drake ab – seine Freunde nannten ihn Choc –, und das war in jeder Hinsicht noch viel gefährlicher. Offenbar hatten sie sich kennengelernt, als Edmonds noch Teenager war und sie gemeinsam Clubabende organisiert hatten. Heutzutage war Choc dafür bekannt, dass er praktisch allein den größten Teil des Cannabismarkts bediente.
Es war eine fürchterliche Kombination, und das hieß, dass Berries schnell gefunden werden musste, nicht zuletzt zu seinem eigenen Schutz. Angesichts dessen, was er dem Mädchen angetan hatte, würden natürlich die meisten Polizisten keine schlaflosen Nächte verbringen, sollte jemand anders ihn vorher erwischen. Viele würden sogar finden, er hätte verdient, was immer auf ihn zukam. Currie war sich da unschlüssig, aber wenn der Tod seines Sohnes ihn etwas gelehrt hatte, dann war es, dass man niemanden aufgeben sollte. Dass man keinen zurücklassen durfte. Was immer man von ihm halten mochte. Besonders wenn jemand wie Drake in die Sache verwickelt war.
»Wie weit sind wir also damit?«, sagte er.
»Heute Vormittag wurde ein Zwischenfall in der Campdown Road gemeldet: Ein Kerl wurde aus einem besetzten Haus herausgezerrt und in einen Kofferraum gesteckt. Die Beschreibung passt auf unseren Freund Eddie.«
»Klein, hässlich und unnütz?«
»Genau so, fast wörtlich. Und die Adresse scheint zu seiner Wohnung an der Campdown Road zu passen.«
Der Idiot – weiß nicht, wann es besser ist, sich bedeckt zu halten
,
Weitere Kostenlose Bücher