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Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
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letzten paar Tagen. Nach alldem, was hinterher geschah, war mir das Treffen mit Sarah total entfallen. Als sie anrief und vorschlug, wir könnten doch etwas zusammen unternehmen, war es für mich ein bisschen gewesen, als erwachte man aus einem schlechten Traum und erinnerte sich plötzlich, dass das große Los auf dem Nachttisch lag. Ich sagte sofort ja, aber dann fiel mir ein, dass ich geplant hatte, mit Rob hierherzukommen, um die Wohnung in Angriff zu nehmen. Ich hatte sie zurückgerufen und mich entschuldigt, aber sie hatte es zu meiner Überraschung ganz locker genommen.
    »Plus«, sagte ich, »später werde ich dann für dich kochen, um mich zu bedanken.«
    »Das ist ja nur ’ne billige Ausrede, um mich zu dir in die Wohnung zu kriegen.«
    »Lehnst du ab?«
    »Das hab ich nicht gesagt, oder?« Sie lächelte mir zu, und ich merkte, wie ich schwach wurde. Dann wandte sie sich mit einer Grimasse wieder der Spüle zu. »Erwarte nur nicht, dass ich danach wieder Geschirr spüle, okay?«
    »Auf keinen Fall.«
    Neben dem Allzweckreiniger roch das ganze Haus nach Staub, obwohl wir alle Fenster geöffnet hatten. Linda hatte ihre Sache gut gemacht und das Wichtigste geputzt. Aber als wir unter die Oberfläche drangen und anfingen, die Möbel zu verschieben, war es, als hätten wir einen Fluch aus einer ägyptischen Grabkammer freigesetzt. Ein gelber Müllcontainer stand an der unteren Biegung der Einfahrt bereit. Wir waren erst ein paar Stunden hier und hatten schon genug Müll, um ihn bis zur Hälfte zu füllen. Müllsäcke mit muffig riechenden Kleidern standen im Flur aufgereiht bis zum vorderen Zimmer, von wo ich Rob hörte, der Bücher aus den Regalen zog und sie zu großen Haufen aufschichtete.
    Das einzige Zimmer, das wir noch nicht in Angriff genommen hatten, war das von Owen. Ich bereitete mich im Stillen darauf vor.
    »Ach, das krieg ich nicht sauber«, sagte Sarah.
    »Mach dir nichts draus. Hier, ich muss sowieso meine Hände waschen.«
    Sie zog die Handschuhe aus und trat zur Seite, um mich den klebrigen Schmutz von meinen Fingern waschen zu lassen. Als ich die Hände in den Schaum tauchte, sah sie sich angewidert in der Speisekammer um.
    »Oh Gott. Hier drin ist es ja schrecklich.«
    »Schrecklich, aber leer. Ich werde da gleich saubermachen.«
    Ich schubste die Tür der Speisekammer zurück und wollte den Karton in den Flur hinausbringen, als ich sah, was da an der Tür hing.
    Die Überreste einer Zeichnung, die ich als Kind gemacht hatte. Meine Mutter hatte sie mit Tesafilm an das Holz geklebt und dort hängen lassen. Jetzt waren die Ecken fleckig, aufgerollt und brüchig. Vier Strichmännchen standen auf einer grünen Linie am unteren Bildrand neben einem roten Haus, das nur halb so hoch war. Darüber war alles blau gemalt in der Art und Weise, wie die meisten Kinder den Himmel darstellen.
    Sarah sah, dass ich das Bild betrachtete, und glättete eine der Ecken, um es besser sehen zu können.
    »Hast du das gemacht?«
    »Ich nehme an, es ist mein frühestes noch erhaltenes Werk.«
    »Es ist so vielversprechend. Du hättest Maler werden sollen.«
    Ich lächelte, aber es fühlte sich gekünstelt an. Ich wusste nicht, was an dem Bild mir ein so unangenehmes Gefühl verursachte. War es, weil meine Mutter es jeden Tag gesehen haben musste, in all diesen Jahren der Anspannung, als wir kaum miteinander redeten? Oder war es die Szene, die ich gezeichnet hatte, wir vier zusammen? Ich betrachtete die Gestalt auf der rechten Seite genauer. Es war kaum mehr als ein schiefer Kreis mit einer geschwungenen Linie als Lächeln und ein paar verwischte Tupfer Wachsmalstift als Haar. Auch keine Hände, nur gespreizte Finger, die am Handgelenk anfingen und die Fingerstriche der Person neben ihm berührten.
    »Komm mal kurz mit«, sagte ich.
    »Aufregend.«
    Sie folgte mir in den Flur, und wir blieben vor Owens Zimmer stehen.
    Wenn nicht jetzt
, dachte ich,
wann dann
?
    Soweit ich wusste, war seit dem Abend, als wir vom Krankenhaus zurückkamen, in das die Leiche meines Bruders gebracht wurde, niemand hier drin gewesen. Meine Eltern hatten es abgeschlossen und genau so belassen, wie es an jenem Morgen gewesen war, als könnten sie ihren Sohn behalten, indem sie das Zimmer so erhielten. Bei geschlossener Tür war es auch mir fast möglich zu glauben, dass er noch da drin war. Vielleicht schlief er, spielte auf seiner Gitarre oder kämmte vor dem Spiegel seine neue Frisur, die er sich in den Wochen vor seinem Tod zugelegt

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