Toten-Welt (German Edition)
Orientierung, um erkennen zu können, dass die Tür auf Höhe des Knicks im Korridor in ein Zimmer führen musste, das über dem Steilabsturz lag.
„Schon mal ne Tür eingetreten?“, fragte Niedermüller.
„Kam vor in meinem Job. Aber gemacht haben das die Jungs mit der großen Ramme.“
„Was halten Sie von dieser Ramme dort?“
Er zeigte auf eine Einbaum-Truhe, die zwischen ihrem Standort und der Treppe im Gang unter einem Ahnengemälde stand. Die unregelmäßige Bearbeitung und die Patina ließen keine Zweifel an ihrem Alter und ihrem Wert aufkommen. Mertel folgte nur zögernd.
„Antiquitätenliebhaber?“, fragte Niedermüller und grinste.
„Eigentlich nicht. Aber wie eine Sünde kommt es mir trotzdem vor.“
Während sie sprachen, hatten sie schon angepackt und Anlauf genommen. Der teilausgehöhlte Baumstamm traf das Schloss am richtigen Punkt und fetzte es aus seiner Versperrung im Rahmen, ohne allzu großen Schaden zu nehmen. Die Tür flog auf. Vom direkt gegenüber liegenden Fenster strahlte ihnen grelles Sonnenlicht entgegen.
Der Raum war die reinste Bildergalerie. Mit flüchtigen Blicken auf dem Weg zum Fenster stellten sie fest, dass es sich um ein und das selbe Motiv handelte, immer von einem Standpunkt aus gemalt.
„Sieht aus wie ein Kloster“, sagte Mertel mehr zu sich selbst und hörte ein bestätigendes Brummen.
„Das war, wo jetzt die Kaserne steht. Sehen sie?“
Der Blick aus dem Fenster war grandios. Wie die Zehn auf der Zielscheibe sahen sie unter sich, tief im Tal, die Kasernenanlagen. Auf dem angrenzenden Truppenübungsplatz waren Mauerreste auszumachen.
„Als hätte jemand damals, als das Kloster noch stand, von hier oben aus das zu seinem Lieblingsmotiv gemacht. Komisch.“
Niedermüller riss die Fensterflügel auf und beugte sich hinaus.
„Shit! Das geht so was von derart steil runter. Mindestens 50 Meter.“
Mertel quetschte sich neben ihn und sah in die Tiefe. Das Stöhnen, Brüllen und der schiere Bewegungslärm der untoten Meute ringsum war auf dieser Seite nur gedämpft zu hören. Zu sehen war gar nichts außer Felsen und Wald. Die Burgmauer unter ihnen hatte kaum Fenster. Aber es gab eines, das knapp über dem Bergsporn lag und damit den Weg ins Tal um gut 20 Meter verkürzte.
„Wissen Sie, wo das ist?“
„Auf jeden Fall im Erdgeschoss und auf dieser Seite. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht finden.“
„Finden wäre sicher kein Problem. Aber in den unteren Stockwerken ist alles voller Monster.“
„Andere Ideen?“
„Hier oben was zum Abseilen suchen.“
„In diesem Raum ist schon mal nichts.“
„Es gibt noch drei Räume. Und wir haben eine tolle Ramme.“
Die beiden sahen sich an und grinsten. Ihre Stimmung war die zweier Jungs vor dem großen Abenteuer. Mertel wunderte sich, was sie so berauschte. Vielleicht das Gefühl, bisher überlebt zu haben. Und die Monster jetzt auszutricksen.
Noch immer grinsend, drehten sie sich vom Fenster weg – und sahen sich zwei Zombies gegenüber, die gerade vom Gang in den Raum geschlappt kamen und augenblicklich witterten, wen sie da vor sich hatten. Die Biester streckten die Arme aus, rissen die Mäuler auf und starteten ihren Angriff.
Beide trugen Uniform.
Einer von ihnen war ein Rekrut, den Niedermüller vom Sehen kannte.
Der andere war Stolte.
Der Anblick des ehemaligen Vorgesetzten, der jetzt nur noch ein blau angelaufenes, von Knochenbrüchen entstelltes und von Bisswunden übersätes Monstrum war, lenkte Niedermüller derart ab, dass er viel zu spät zur Waffe griff.
Mertel gelang es, den Rekruten mit einem Streifschuss am Kopf vorübergehend auszuschalten. Als er auf Stolte zielen wollte, hatte der sich bereits auf Niedermüller gestürzt und ihn zu Boden gerissen.
Mertel steckte die Pistole weg, packte den riesenhaften Zombie, der Niedermüller durch sein schieres Gewicht keine Chance ließ, und versuchte, ihn von seinem Kampfgefährten herunter zu zerren. Zu spät merkte er, dass der Rekrut sich wieder aufgerappelt hatte.
Mertel wurde am Fuß gepackt und sah sich nun selbst plötzlich in Lebensgefahr. Denn der Rekrut versuchte sofort, ihn in die Wade zu beißen, während Stolte sich nun ebenfalls ihm zuwandte, ihn mit beiden Händen am Hals würgte und nach seinem Gesicht biss.
Stoltes Weg von seinem sicheren Hochplatz auf der Bergfried-Mauer zurück auf den Boden des Hofes und von da aus ins oberste Stockwerk der Burg, seine Verwandlung vom lebenden Geretteten zum untoten
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