Totenblüte
Wohnungssuche waren, fanden wir, dass es doch nett wäre, bei ihr in der Nähe zu wohnen.»
«Wie praktisch», sagte Vera und überlegte dabei, was genau sie an dieser jungen Frau eigentlich so unsympathisch fand.
«Ja.» Emma drehte sich kurz zu ihnen um und führte sie dann hinaus auf eine steinerne Terrasse, auf der vier Holzstühle um einen Tisch standen. Der Garten war nicht besonders groß und von einer hohen Mauer umgeben. Irgendwo im Efeu hörte man Amseln rufen.
Emma redete schon wieder weiter. «Das ist Louise, meine Mitbewohnerin. Lou, die Herrschaften sind von der Polizei.»
Louise war offensichtlich noch nicht lange auf. Sie war barfuß und ungekämmt, nickte ihnen knapp zu und beschäftigte sich dann wieder mit den Croissantkrümeln auf ihrem Teller.
«Ich mache noch einen Kaffee», bot Emma an.
Vera ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. «Für uns nicht, Herzchen. Wir sind ja nicht zum Vergnügen hier, und wir haben auch nicht viel Zeit. Wir wollen nur über Lily reden.»
«Sicher.»
«Wie lange wohnen Sie denn schon zu dritt zusammen?»
«Also, kennengelernt haben wir uns im ersten Studienjahr. Wir waren im selben Wohnheim, obwohl wir alle unterschiedliche Fächer studierten. Lily hat Englisch studiert, Louise Sprachwissenschaft und ich Medizin. Darum sind wir auch alle drei noch hier, obwohl alle unsere anderen Freunde schon längst nicht mehr an der Uni sind. In unseren Fächern studiert man länger als die üblichen drei Jahre, und Lily hat noch das Aufbaustudium fürs Grundschullehramt drangehängt. Wir hatten damals eine gemeinsame Küche und kamen ganz gut miteinander klar, da haben wir beschlossen zusammenzuziehen.»
«Aber wie können Sie es sich denn bloß leisten, in so einer Straße zu leben?» Etwas übertreiben, die naive Polizistin spielen. Es konnte nie schaden, wenn sie einen unterschätzten.
«Tja, das verdanken wir ehrlich gesagt meinem Papa. Er hatte sowieso überlegt, sich irgendwo eine Wohnung zu kaufen, er fand das eine gute Investition. Und wir zahlen nur so viel Miete, dass die Hypothek abgedeckt ist. Billig ist das zwar immer noch nicht, aber wenn man sich anschaut, wie andere Studenten so hausen … Meine Eltern sind toll. Sie unterstützen mich sehr.»
«Aber Lily hatte doch kein reiches Elternhaus, oder? Wie hat sie sich denn die Miete leisten können?»
Emma zuckte die Achseln. «Hat sie uns nie erzählt. Soweit ich mich erinnere, ist ihr Vater nach ihrem ersten Jahr an der Uni frühpensioniert worden und hat ihr eine kleine Starthilfe gegeben. Und sie hat ja auch nicht so viel bezahlt wie wir, weil ihr Zimmer kleiner war. Außerdem hat sie immer samstags und in den Semesterferien gearbeitet.»
«Erzählen Sie mir von ihr. Sie kannten sie sicher besser als alle anderen, wo Sie doch so lange zusammengewohnt haben.»
Zum ersten Mal schien Emma nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Stattdessen antwortete Louise.
«Niemand kannte sie wirklich gut.»
«Aber … drei Mädels in einer Wohnung … Sie waren doch sicher sehr vertraut miteinander.»
«Eigentlich nicht. Mit Lily war das schwer.»
«Aber man geht doch mal zusammen aus, trinkt ein bisschen was. Da wird sie dann doch aus sich herausgegangen sein.»
«Ich glaube nicht, dass Lily sich jemals irgendwie hat gehenlassen, Inspector. Sie war immer so kontrolliert, so beherrscht. Und ziemlich ehrgeizig, glaube ich. Das hatte wohl etwas mit ihrer Herkunft zu tun. Sie hat viel härter gearbeitet als wir anderen.»
«War sie manchmal krank?»
«Nichts Ernstes. Mal eine Erkältung, eine Halsentzündung. So wie alle eben.»
«Hatten Sie je den Verdacht, dass sie vielleicht depressiv sein könnte? Wo sie sich doch so abgesondert hat.»
«Nein. Und so sehr hat sie sich auch gar nicht abgesondert. Sie ließ uns nur nicht an ihrem Leben teilhaben.»
«Wo waren Sie beide gestern Abend?»
Wieder antwortete Louise. «Ich hatte Geburtstag. Wir sind essen gegangen. Mit der ganzen Clique.»
«Und Lily?», fragte Vera. «Hätte sie nicht auch dazukommen sollen?»
«Ich hatte sie natürlich eingeladen, aber ich war ehrlich gesagt nicht weiter erstaunt, als sie nicht aufgetaucht ist. So was war eben nicht ihr Ding.»
Aber warum wohl? Habt ihr sie vielleicht eingeschüchtert mit euren selbstbewussten Stimmen und euren reichen Eltern?
«Hatte sie einen Freund?»
Schweigen. Die beiden jungen Frauen wechselten einenraschen Blick. Schließlich sagte Emma: «Wir glauben schon, dass sie einen hatte. Sie ist
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