Totenblüte
Behandlung war. Höchstwahrscheinlich war sie nicht stationär dort, das würden ihre Mitbewohnerinnen dann doch wissen. Aber vielleicht war sie ja in ambulanter Therapie. Wir wissen bereits, dass ihr Vater unter einer psychischen Krankheit leidet. Das ist zwar alles recht unwahrscheinlich, aber wir sollten es trotzdem weiterverfolgen. Außerdem möchte ich, dass jemand Lily Marshs Finanzlage prüft, Bankkonten, Kreditkarten, das alles. So, wie es aussieht, hat sie ziemlich über ihre Verhältnisse gelebt. Hatte sie vielleicht noch andere Einnahmequellen? Einen reichen Liebhaber vielleicht? Außerdem müssen wir den Burschen ausfindig machen, in den sie in der Schule so verliebt war. Er heißt Ben Craven. Vielleicht lebt er ja noch hier in der Gegend.»
Sie fand, dass sie jetzt genug geredet hatten. Hier redeten alle so wahnsinnig gern. Solange sie reden und Kaffee trinken und Donuts essen konnten, mussten sie wenigstens nicht raus ins richtige Leben und sich mit richtigen Leuten auseinandersetzen.
Vera richtete sich wieder auf und wartete, bis alle sie ansahen. «Das Wichtigste ist, eine Verbindung zwischen den Opfern zu finden. Etwas, das sie gemeinsam haben, einen Menschen, den sie beide kennen.»
Ihr Team saß da und schaute schweigend zu ihr auf.
«Na, dann mal los», fuhr sie mit energischer Stimme fort, wieder ganz die Lehrerin. «Hier drinnen dürften Sie wohl kaum fündig werden.»
KAPITEL SECHZEHN
Es war Samstag, die Sonne schien immer noch, doch in Fox Mill wurden keine Vorbereitungen für das Picknick getroffen, das Felicity als weiteren Höhepunkt von Peters Geburtstagsfeierlichkeiten geplant hatte. Die Gäste waren über Nacht geblieben, jetzt verzehrten sie bedrückt ein spätes Frühstück in der Küche. Die vier Männer wirkten abwesend und mitgenommen. Vielleicht hatten sie ja einen kollektiven Kater. Selbst James war ungewöhnlich still und verzog sich bald wieder in sein Zimmer, um Kinderfernsehen zu schauen.
Felicity war froh, als die Gäste noch vor dem Mittagessen aufbrachen. Peter versuchte zwar noch, sie zum Bleiben zu überreden, doch sie schienen zu merken, dass Felicity sie los sein wollte. Heute war ihr nicht einmal Samuel ein Trost. Peter verschanzte sich den Nachmittag über in seinem Arbeitszimmer. Er saß an einem großen Projekt: ein Buch über den Einfluss der Witterung auf die Flugrouten der Seevögel. Eines der großen naturkundlichen Verlagshäuser hatte höfliches Interesse daran bekundet, ihm aber keine festen Zusagen gemacht. Dazu, sagten sie, müssten sie erst das fertige Buch sehen. Doch je eingehender Peter sich mit dem Material beschäftigte, desto komplexer wurden seine Theorien. Es gab Tage, da war Felicity überzeugt, dass er dieses Buch niemals fertig schreiben würde.
Sie ging in den Garten hinaus und machte sich daran,in den Beeten vor dem Haus Unkraut zu jäten. Die strukturierte, stumpfsinnige Arbeit, die ein unmittelbares Ergebnis brachte, schien ihr genau das Richtige zu sein. Von der Straße her hörte sie einen Automotor, achtete jedoch erst nicht darauf. Manchmal stellten Ausflügler ihr Auto auf dem Seitenstreifen ab, um dann den Wanderweg zum Meer zu nehmen. Dann hörte sie, dass der Wagen in ihre Einfahrt eingebogen war, und richtete sich auf, zog die Handschuhe aus und schob die Bluse wieder in den Bund ihrer Jeans. Sie vermutete, dass es Samuel sein würde. Er hatte mitbekommen, wie verstört sie war, und es passte zu ihm, noch einmal zurückzukommen, nachdem er ein Weilchen über die Sache nachgedacht hatte, und nach ihr zu sehen. Sie legte sich die Worte zurecht, die sie ihm sagen wollte, die Entschuldigungen, weil sie so grantig, so wenig gastfreundlich gewesen war. Die Lügen.
Weißt du, dich hätte ich ja gern noch weiter hiergehabt. Aber die anderen … Das wurde mir einfach alles zu viel.
Doch dann war es gar nicht Samuel. Es war ein Auto, das sie noch nie gesehen hatte. Sie verspürte eine plötzliche Unruhe, dann sah sie, wie sich die dicke Polizistin vom Abend zuvor vom Fahrersitz hievte. Felicity genoss das stille Gefühl der Überlegenheit, das sie immer empfand, wenn sie eine Frau ihres Alters sah, die sich gehenließ. Die Polizistin hätte sogar ganz attraktiv sein können, wenn sie sich nur ein bisschen Mühe gegeben hätte. Die Kleider waren labbrig, das Haar schlecht frisiert. War es ihr denn wirklich so egal, wie sie aussah? Das konnte Felicity nicht begreifen. Doch irgendwie wirkte diese Vera Stanhope dadurch auch
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