Totenblüte
wäre, während Sie bei der Arbeit waren, hätte Luke das dann erwähnt?»
Julie dachte nach. «Ich bin mir nicht sicher», sagte sie. «Er behielt seine Gedanken einfach nie sehr lange im Kopf. Er konnte sich nicht darauf konzentrieren. Absichtlich verschwiegen hätte er mir so was sicher nicht, aber es kam schon vor, dass er einfach nicht mehr daran dachte.»
«Würde Laura das vielleicht wissen?»
«Mit ihr hat Luke noch weniger geredet als mit mir.»
Eine Pause entstand. Julie spürte, dass Vera aufbrechenwollte; und sosehr sie der Besuch der Polizistin anfangs gestört hatte, so wenig wollte sie sie jetzt gehen lassen. «Wenn Sie etwas Neues herausfinden», sagte sie, «kommen Sie dann und sagen es mir? Kommen Sie dann sofort?»
Vera stand auf und ging zur Spüle, um ihren Becher abzuwaschen.
«Natürlich», sagte sie. «Sofort.» Doch sie drehte Julie dabei den Rücken zu, und Julie war sich nicht sicher, ob sie ihr das glauben konnte.
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
Felicity hatte James zum Schulbus gebracht und ging nun langsam die Straße entlang nach Fox Mill zurück. Seit Peters Geburtstag hatte sich eigentlich nichts grundlegend verändert. Sie wusch immer noch die Wäsche, fuhr immer noch zum Einkaufen, kochte immer noch jeden Abend. Sie sorgte dafür, dass James seine Hausaufgaben machte, und fragte Peter beim Abendessen, wie sein Tag gewesen war. Und später legte sie sich neben ihn ins Bett.
Am Abend zuvor hatte sie im Bett versucht, mit ihm über die Tote zu reden. Durchs offene Zimmer duftete der Garten herein, doch neben dem Geruch nach frisch gemähtem Gras und Jelängerjelieber konnte man glauben, auch das Meer zu riechen. Felicity kehrte im Geist zum Ausguck zurück, zu der frischen salzigen Luft, zum Tang und zu den Blumen, die auf dem Wasser trieben.
«Glaubst du, sie wissen schon, wer sie getötet hat?», hatte sie Peter gefragt.
Sie lag auf dem Rücken und schaute zur Decke hinauf. Sie spürte, dass er noch wach war, doch seine Antwort ließso lange auf sich warten, dass sie sich schon fragte, ob er sich vielleicht schlafend stellen wollte.
«Nein», sagte er schließlich. «Ich glaube, sie tappen völlig im Dunkeln. Sie waren heute noch einmal da, um mit mir zu reden. Diese Polizistin und ein jüngerer Mann.»
«Was wollten sie denn?» Sie drehte sich zu ihm um, konnte seine Gesichtszüge im Dunkeln nur schwach ausmachen. Früher hätte sie jetzt wohl die Hand ausgestreckt, ihm die Stirn, die Augen, den Hals gestreichelt. Sie wäre ihm über die Lippen gefahren, hätte einen Finger in seinen Mund geschoben. Früher hatte sie das intime Gefühl genossen, seine Haut unter den Fingern zu spüren. Heute berührten sich nicht einmal ihre Füße.
«Sie wollten wissen, ob ich die Blumen bestimmen kann. Aber ich weiß nicht … Vielleicht war das auch nur ein Vorwand.»
«Aber sie können doch nicht im Ernst glauben, dass einer von uns etwas mit dieser Sache zu tun hat.»
«Nein», erwiderte er leichthin. «Natürlich nicht.» Und dann hatte er sie an sich gezogen, ein wenig so wie früher, als sie frisch verheiratet waren. Wie ein Vater, der seine Tochter tröstete. Und Felicity hatte ruhig dagelegen und so getan, als würde sie sich trösten lassen.
Während sie jetzt durch die Schatten der Holunderbüsche über die Straße ging, dachte sie sich, dass es trotzdem nicht mehr so sein würde wie früher, auch wenn es so schien. Gleich darauf verwarf sie den Gedanken schon wieder als melodramatischen Unfug. Das eigentlich Schlimme war, dass sie mit niemandem darüber reden konnte. Sie hatte zwar ihren Freundinnen von der Leiche erzählt, hatte das Erlebnis in den letzten Tagen sogar so oft geschildert – am Telefon und in diversen Küchen bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein –, dass sie bald selbst nicht mehr wusste,was eigentlich der Wahrheit entsprach. Hatte sie die Geschichte womöglich ein wenig ausgeschmückt? Doch den Verdacht, der ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte, konnte sie auch mit ihren Freundinnen nicht teilen: dass nämlich jemand, den sie kannte, womöglich ein Mörder war. Davon konnte sie ihnen genauso wenig erzählen wie von ihrer Beziehung zu Samuel.
Zurück in ihrem leeren Haus, dachte sie sich, dass ihr Gesellschaft fehlte. Der Mord hatte Peters Geburtstagsfeier ruiniert. Felicity würde ein neues Fest geben, eine Grillparty, sie würde die Jungs noch einmal einladen, um richtig zu feiern. Doch dann spürte sie die Verzweiflung, die in diesem Plan
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