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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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dabei?»
    «Nein. Nur die Karte.»
    «Dann haben wir also keine Chance auf DN A-Spuren .»
    «Das könnte doch vielleicht ein Hinweis auf Peter Calvert sein?», wagte sich Joe Ashworth wieder vor.
    «Vielleicht.» Vera konnte sich schwer vorstellen, dass der arrogante Universitätsprofessor so viel Zeit und Mühe investierte, eine solche Karte zu basteln. Selbstgebastelte Kärtchen, das waren doch genau die Dinge, über die er die Nase rümpfen würde. «Möglicherweise hat Lily sie aber auch selbst gemacht und ist nur nicht mehr dazu gekommen, sie abzuschicken. Oder sie wollte etwas Ähnliches mit den Kindern in ihrer Klasse basteln, und das war der Probelauf. Auf jeden Fall muss das ins Labor. Vielleicht können sie uns ja was über den Klebstoff sagen.»
    Vera blieb am Tisch sitzen, als die anderen schon fort waren. Sie goss sich den letzten Rest Kaffee aus der Thermoskanne ein und ließ sich Zeit damit, ihn zu trinken. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass sich da jemand über sie lustig machte. Sie kam sich vor wie der Spielstein in einem besonders komplizierten Brettspiel. Echte Morde waren anders. Schmutzig und brutal, meistens ungeplant und immer scheußlich. Sie dachte an Julie Armstrong, die in ihrem Wohnzimmer in Seaton hockte und auf den Fernseher starrte, an Dennis Marsh, der sich in seinem Gewächshaus verschanzte, und sie versuchte sich einzureden, dass sie nicht jede einzelne Sekunde dieser Ermittlungen genoss.

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG 
    Der Arzt hatte Julie Tabletten gegeben, damit sie schlafen konnte. Jeden Abend war sie von neuem überzeugt, dass sie nicht wirken würden, und dann überfiel der Schlaf siedoch von einer Sekunde auf die andere. Wie ein Schlag auf den Hinterkopf, eine plötzliche Bewusstlosigkeit. An diesem Morgen erinnerte sie sich zum ersten Mal, etwas geträumt zu haben. Sie war schlagartig aufgewacht, wie immer, seit sie die Tabletten nahm. Es war noch früh. Sie merkte es am Vogelzwitschern und daran, dass noch kein Verkehrslärm von der Straße hereindrang. Die Vorhänge waren dünn, Tageslicht fiel hindurch. Auch heute schien die Sonne wieder.
    Ihr erster Gedanke galt Luke, wie jeden Morgen seit seinem Tod. Sie sah ihn wieder in der Wanne liegen, roch den schweren Duft des Badeöls, sah das Kondenswasser, das am Spiegel über dem Waschbecken herunterrann. Aber sie wusste auch augenblicklich, dass sie keineswegs von ihm geträumt hatte. Es war ein erotischer Traum gewesen, wie einer der Tagträume, denen sie sich hingegeben hatte, nachdem Geoff gegangen und sie sich sicher war, dass sie nie wieder mit einem Mann schlafen würde. In diesem Traum war sie mit Gary im Dunkeln einen Strand entlanggegangen. Ein dicker, runder Mond hing knapp über dem Horizont, man hörte das Rauschen der Wellen. Es war wie eine Szene aus einem Schnulzenheftchen, einer dieser Zeitschriften für ältere Damen, wie sie ihre Mutter immer mit auf ihre Busreisen nahm. Dann hatte der Traum eine Wendung genommen, und sie lagen zwischen den Dünen und schliefen miteinander. Julie glaubte immer noch das Gewicht seines Körpers auf sich zu spüren, den Sand an Rücken und Schultern, seine Zunge in ihrem Mund. Es war wie die Erinnerung an ein reales Erlebnis, als wäre es gar kein Traum gewesen. Sie legte die rechte Hand auf die linke Brust und hatte das Gefühl, als wäre sie dort immer noch empfindlich, weil ihre Brust berührt und gedrückt worden war. Langsam ließ sie die Hand über den Bauchzwischen die Beine wandern, unterbrach sich dann aber abrupt. Das schlechte Gewissen war wie ein Schock. Was tat sie da? Wie konnte sie überhaupt an Sex denken? Was war sie bloß für eine Mutter? Sie hätte Gary am Tag zuvor wegschicken müssen. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, ihn ins Haus zu lassen?
    Julie schaute auf den Wecker neben dem Bett. Fast sechs. Sie drückte auf die Fernbedienung, und das Fernsehgerät auf der Kommode erwachte zum Leben. Sie döste noch ein bisschen, betrachtete die Bilder, ohne auf die Worte zu achten, bis schließlich ihre Mutter mit einer Tasse Tee und einem Stoß Briefe hereinkam. Weitere Beileidskarten, das sah sie auf den ersten Blick. All ihre Freunde bekundeten ihre Anteilnahme, schrieben ihr, wie leid es ihnen tat. Julie wusste schon, wie die Karten aussehen würden. Lauter Bilder von Kreuzen, Kirchen und Lilien. Seit Lauras Taufe hatte sie keine Kirche mehr betreten und fragte sich, was der Tod eigentlich an sich hatte, dass er alle Welt so religiös werden

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