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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Computers ein. Als Erstes fiel ihr auf, wie gut er aussah. Ein junger Mann, den man auch auf der Straße bemerkte, dem man mit dem Blick folgen würde, weil es einfach schön war, ihm beim Gehen zuzusehen. Er war groß, blond und durchtrainiert. Leicht gebräunt, was seine Augen sicher noch besser zur Geltung brachte. Er hatte sie leicht zugekniffen, um auf den Bildschirm zu schauen, doch Vera konnte trotzdem erkennen, dass sie blau waren. Wahrscheinlich brachte er seine sämtlichen Patientinnen zum Träumen. Kein Wunder, dass Lily Marsh sich in ihn verliebt hatte. Sie hätten ein auffallend schönes Paar abgegeben.
    Er hörte sie eintreten und hob den Kopf.
    «Ja?» Selbst in diesem einzelnen Wort schwang der sanfte, leicht herablassende Ton mit, den Therapeuten den Verrückten gegenüber anschlagen. Dazu ein Lächeln, damit sie sich gleich entspannte. Anscheinend hielt er sie für eine Patientin. Vera fragte sich, ob sie mit ihren Zeugen wohl auch so sprach. Als ob sie Kinder wären.
    «Vera Stanhope», sagte sie. «Polizei. Wir haben einen Termin.» Ihr Tonfall war schroff genug, damit er wusste, wer hier das Heft in der Hand hielt. Dabei verabscheute sie diese dummen Machtspielchen normalerweise.
    Er schaltete den Computer auf Standby, erhob sich mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung von seinem Stuhl und streckte ihr die Hand hin.
    «Guten Tag, Inspector. Möchten Sie einen Tee? Oder einen Kaffee?»
    «Nein, danke», sagte sie.
    «Geht es um einen meiner Patienten? Dann sollten wir vielleicht meine Chefin dazuholen.»
    Vera ging nicht darauf ein. «Hören Sie», sagte sie. «Können wir uns nicht woanders unterhalten? Vielleicht irgendwo beim Mittagessen?»
    «Bereiten psychisch Kranke Ihnen etwa Unbehagen, Inspector?»
    «Seien Sie nicht albern, Jungchen. Ich habe in meinem Leben schon mit mehr Spinnern zusammengearbeitet, als Sie warme Mahlzeiten zu sich genommen haben. Und ich meine nicht nur die Straftäter.»
    Er grinste, und sie dachte sich, dass er eventuell doch ein ganz netter Mensch war. «Ich mache um diese Zeit ohnehin meistens eine Pause.»
    Sie traten zusammen auf die Straße hinaus. Auf der anderen Straßenseite erstreckte sich ein schmaler Streifen Dünenlandschaft, gleich dahinter begann das Meer. In der Ferne wurde gerade ein Elektrizitätswerk abgerissen. Der junge Mann führte sie an ein paar ausladenden, edwardianischen Reihenhäusern vorbei, die selbst in dieser Umgebung noch recht hochherrschaftlich wirkten, bis zu einem Pub namens
Mermaid
. Abends wurden hier vermutlich Drogen verkauft, wie überall sonst in der Stadt, doch um diese Zeit war es angenehm ruhig und friedlich. In einer Ecke spielten zwei alte Männer mit Bergarbeiterhusten Domino. An einem anderen Tisch verzehrte ein mittelaltes Paar Rinderpastete mit Fritten.
    Craven orderte einen Orangensaft und ein Sandwich, Vera ein halbes Pint Workie Ticket und einen Hamburger. Während sie an der Theke darauf warteten zu bezahlen, betrachtete Vera den jungen Mann neben sich im staubigen Sonnenlicht; dann wurde sie sich bewusst, dass sie ihn anstarrte, und sie wandte den Blick ab.
    «Luke Armstrong», sagte sie, als sie sich gesetzt hatten. «Sagt Ihnen der Name etwas?»
    «Das ist doch dieser Junge aus Seaton, der ermordet wurde.»
    «Dann kannten Sie ihn also?»
    «Nein, ich habe ihn nicht betreut. Aber ich habe die Kollegen im Krankenhaus über ihn reden hören. Krankenhausklatsch eben. Daher weiß ich auch, dass er einige Zeit im St.   George’s verbracht hat. Ich glaube, er wurde aber überhaupt nicht an die Sozialabteilung verwiesen.»
    «Sie haben ihn also im Krankenhaus nie gesehen?»
    «Vielleicht irgendwann mal kurz, bei einem meiner Besuche auf der Station. Ich kann aber nicht behaupten, dass ich mich daran erinnern würde. Sie sollten wirklich besser mit meiner Chefin reden. Sie wird wissen, ob die Familie Unterstützung von Sozialarbeitern erhalten hat.»
    «Was ist mit Lily Marsh?», fragte Vera. «Die kannten Sie ja wohl.»
    Er saß völlig reglos da. Starr wie eine Statue. Vergoldet im Sonnenlicht. So ein Kunstwerk würde sie sich jederzeit daheim in die Vitrine stellen, dachte Vera nur halb im Scherz.
    «Ich habe Lily das letzte Mal mit achtzehn gesehen.»
    «Sie wissen aber, dass sie tot ist?»
    «Meine Mutter hat mich letztes Wochenende angerufen», sagte er. «Sie sprach von einem Unfall. Lily ist wohl ertrunken. Irgendwo oben an der Küste.»
    Vera fragte sich, ob Phyllis diese Geschichte wohl im Dorf

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