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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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sagte, er solle still sein.
    Um kurz vor neun erreichten sie das Dorf, in dem Cor de Boer lebte. Der Commissaris fuhr das Fenster herunter. Die Luft roch nach feuchter Erde und frisch gemähtem Gras. Aus dem Schornstein eines Gehöftes stieg ein dünner Rauchfaden, lang und straff, als hielte er einen Papierdrachen.
    Ein Schlagloch im Asphalt versetzte dem Wagen einen Stoß. Der Auspuff begann zu klappern und hörte nicht wieder auf. Das Geräusch erinnerte Van Leeuwen an das morgendliche Scheppern von Milchkannen, an das Rattern von Erntewagen und an Hufschlag auf hart gefrorenem Boden. Mit diesen Lauten gingen Gerüche und Bilder einher, die jahrelang nur eine Erinnerung gewesen waren – Schweine in einem Koben, runzelige Bäuerinnenhände an einem rosa geblähten Euter, die ahnungsvolle Unruhe des Viehs am Schlachttag.
    Als die ersten Häuser des Dorfes zu sehen waren, wurde alles noch deutlicher, die Bilder standen nicht mehr, sondern liefen, vierundzwanzig in der Sekunde, Leben auf dem Land , alles, was er schon als Junge unbedingt hinter sich hatte lassen wollen: in jeder Himmelsrichtung nur ein Anblick, das ganze Leben lang. Man ging die Dorfstraße hinunter, es war Sonntagvormittag im Frühling oder Sommer oder Herbst, und die Männer und manchmal auch die Frauen saßen vor den Häusern auf den Holzbänken, keiner redete. Alle blinzelten schweigend ins Licht der Sonne, als wären sie aus altem, verwittertem Holz geschnitzt.
    Das Dorf bestand nur aus zwei Häuserzeilen, die sich gegenseitig mit dunklen Fenstern ohne Vorhänge betrachteten. Rotbraune, im Blockverband gemauerte Steinfassaden endeten unter Schieferdächern in spitzen Giebeln, rechts und links verwachsen mit identischen Nachbarhäusern. Pflastersteingassen führten von der Hauptstraße zwischen Garagen und rückwärtig gelegenen Gärten zu schlichten Feldwegen, an deren Ende die letzten Höfe lagen.
    Die Polizisten in dem schwarzen VW Golf aus dem Fuhrpark des Hoofdbureaus fuhren langsam über die menschenleereHauptstraße. Das Scheppern des Auspuffs wurde von den Hausmauern zurückgeworfen. Sie passierten eine kleine Kirche, dann ein Lebensmittelgeschäft, einen Laden für Angelgeräte, Tierfutter und landwirtschaftliche Geräte und einen Kiosk mit Lotto- und Postannahmestelle, bis sie den Gasthof erreichten. Das Metallschild mit der verblichenen Abbildung eines ehemals hellbraunen Hasen über der Tür schlug knarrend im Wind hin und her.
    Gallo steuerte den Golf an den Straßenrand, und die Polizisten stiegen aus. An das Fenster des Gasthofs war von innen mit Tesafilm ein Stück Pappe geklebt, dessen Beschriftung die Sonne ausradiert hatte. Gallo drückte die Türklinke hinunter. Die Tür war verschlossen. Eine Klingel gab es nicht. Die Polizisten gingen um das Haus herum, durch eine winzige, dunkle Gasse. Sie stießen auf einen kleinen Hof, in dem sich aufgeweichte Pappkartons, Träger mit leeren Heineken- und Genever-Flaschen und ausrangiertes Mobiliar stapelten. Ein Mann in einem schmutzigen Overall beugte sich über den Motor eines roten Ford Mondeo. Mit einem Arm hielt er die Motorhaube hoch, mit dem anderen maß er den Ölstand.
    Hoofdinspecteur Gallo rief: »Entschuldigen Sie, wo finden wir Mijnheer de Boer?«
    »Das letzte Haus links«, rief der Mann, ohne aufzuschauen.
    Der Commissaris ging zurück zur Hauptstraße. »Ich rede mit De Boer, ihr nehmt den Wagen und fahrt nach Steenwijk und schaut, ob ihr sonst noch jemanden findet, der uns etwas über Conrad Mueller und den Mord sagen kann. Ich rufe euch an, wenn ihr mich abholen sollt.«
    Hoofdinspecteur Gallo, Inspecteur Vreeling und Brigadier Tambur stiegen wieder in den schwarzen Golf, und Van Leeuwen ging weiter die Straße hinunter bis zum letzten Haus links, in dem der Mann wohnte, der das erste Opfer des Plastiktütenmörders gekannt hatte. Während er ging, dachte er, dass er dieses Wort noch nie benutzt hatte, der Plastiktütenmörder, noch nicht einmal in Gedanken.
    Das Haus stand allein und etwas abseits von den anderen. Vielleicht lag es an den zugezogenen Gardinen hinter den Fenstern,dass der Commissaris den Eindruck hatte, als wappnete es sich mit misstrauischem Schweigen gegen seinen Besuch. Der Schornstein hatte kürzlich eine neue Abdeckung aus Eisen bekommen, dafür bedurften die weißen Fensterrahmen dringend eines frischen Anstrichs. In dem kleinen, von einem Maschendrahtzaun eingefassten Garten warf eine alte Esche ihren Schatten auf einen Tisch mit einer Holzbank

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