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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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gesteigert, bis er schließlich jedes Jahr mehrmals zuschlug. Viel früher hat er andererseits wohl auch nicht getötet, denn sein MO verlangt eine gewisse Kraft und Entschlossenheit, vor allem aber Umsicht, Planung, Reife – emotionale Intelligenz, selbst wenn es sich um deformierte Emotionen und eine auf Abwege geratene Intelligenz handelt.«
    Er drehte sich um und sah Gallo an, dann Julika und Remco Vreeling. »Wir suchen also einen Mann zwischen … grob geschätzt … einundvierzig und fünfundfünfzig Jahren, der vor etwa fünfundzwanzig Jahren in der Gegend von Steenwijk gelebt hat und jetzt wahrscheinlich bei uns oder hier in der Nähe zu Hause ist. Wenn man weiter davon ausgeht, dass ihn ein traumatisches Erlebnis aus der Bahn geworfen und später dazu gebracht hat, Menschen aus Mitleid zu töten – Doktor Menardi ist dieser Ansicht –, dann muss es zwischen 1983 und 1963 stattgefunden haben. Ton, Julika, Remco – versucht doch mal herauszufinden, ob sich in diesem Zeitraum in der Gegend von Steenwijk irgendetwas Außergewöhnlichesereignet hat, etwas so Schreckliches, dass es einen jungen Menschen für immer aus der Bahn werfen konnte.« Er hielt einen Moment den Atem an, bis er das Blut hinter seinen Schläfen pochen hören konnte. »Und ob es vielleicht an einem sechsundzwanzigsten September oder einem dritten Oktober passiert ist …«
    »Das sind zwanzig Jahre«, gab Inspecteur Vreeling zu bedenken, »vielleicht sogar mehr.«
    »Genau«, bestätigte der Commissaris, »und wir wissen nicht mal, ob es ein so spektakulärer Vorfall war, dass noch jemand anderer außer unserem Mörder darauf aufmerksam geworden ist. Fragt die Gendarmerie, die Landärzte, die Feuerwehr. Fragt alle, die zur selben Altersgruppe gehören wie unser möglicher Täter, und alle, die älter sind. Das sind nur kleine Dörfer dort, einzelne Bauernhöfe, da geraten Dinge nicht so schnell in Vergessenheit. Grabt alles um, schaut hinter jedes Gebüsch, lasst keinen Stein auf dem anderen, bis die Geheimnisse aus der Erde kriechen.«
    »Sollen wir das von hier aus machen, oder willst du, dass wir hinfahren?«, fragte Gallo.
    »Wir fahren alle hin«, entschied der Commissaris. »Aber versucht, so viel wie möglich vorher herauszufinden. Außerdem müssen sämtliche Mitarbeiter der Klinik von Doktor van der Meer und alle Redakteure von De Avond! und Veronica , die mit Doktor Jacobszoon zusammenarbeiten, daraufhin überprüft werden, ob sie dem hypothetischen Täterprofil entsprechen. Wie alt sie sind, wo sie herkommen, seit wann sie an ihrem gegenwärtigen Wohnsitz leben, ob sie mit einem unserer Opfer zusammengetroffen sein könnten et cetera et cetera … Los, los, worauf wartet ihr? Wir fahren morgen früh.«
    Brigadier Tambur und Inspecteur Vreeling verließen Van Leeuwens Büro, um an ihre Schreibtische im Großraumbüro am Ende des Gangs zurückzukehren. Ton Gallo schlenderte zum Fenster, wo er schweigend stehen blieb. Draußen war wieder ein klarer Tag, an dem unter dem dunkelblauen Himmel alles wie in Metall gestochen wirkte, die Häuser, die Bäume, die kahlen Äste und der Abfall auf den Bürgersteigen. »Kannst du dich erinnern, dass wir je einenso langen Herbst hatten?«, fragte er. »Das ganze Blau und Gelb und Rot, es nimmt überhaupt kein Ende.«
    »Das kommt noch«, meinte der Commissaris. »Manchmal ist das so, das man denkt, es bleibt immer Herbst, und dann kommt der Winter ganz plötzlich.«
    Gallo sagte: »Hast du dir schon mal überlegt, dass auch jeder von uns zur Zielgruppe des Täters gehören könnte? Wenn ich an mich und Srebrenica denke oder an Julika und ihren Vater oder an dich, sogar an Joodenbreest und seinen Bruder in der Anstalt – jeder von uns könnte auf der Liste stehen!«
    »Wir wollen nicht sterben«, widersprach der Commissaris. »Wir sind vielleicht nicht glücklich, aber wir wollen leben. Das ist der Unterschied: Wir wollen leben.«
    »Da bin ich mir gar nicht so sicher«, erwiderte Gallo. »Es gibt Momente, in denen bin ich mir da gar nicht so sicher.« Auf dem Weg zur Tür blieb er vor der Magnetkarte stehen und kniff die Augen zusammen. »Und was ist das jetzt für ein Muster?«
    »Der Yangtse«, erklärte der Commissaris. »Der Yangtse von oben, auf der Landkarte.«
    Gallo trat einen Schritt zurück, dann noch einen. »Der Yangtse, hm?« Aber der Commissaris ließ sich nicht irritieren: Aus dem sandigen Weg zielloser Ermittlungen war – wie immer völlig überraschend – eine Straße

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