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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Flasche und den Gläsern gesellte sich eine Zigarrenkiste.
    De Boer setzte sich wieder. »Stört Sie doch nicht beim Essen?«
    Der alte Feuerwehrmann kappte die Spitze der Zigarre, setzte die Tabakblätter in Brand; blauer Rauch stieg in die Strahlen der bereits tief stehenden Sonne. Danach schenkte er die Gläser halb voll mit Genever. »Cheers«, sagte er und hob sein Glas. Van Leeuwen schluckte und musste einsehen, dass die Mahlzeit zu Ende war. Er stieß mit De Boer an und trank.
    »Ja, also«, nahm Cor de Boer schließlich den Faden wieder auf, »wie gesagt, ich weiß das alles nur aus zweiter Hand, wie es damals losging, am späten Nachmittag, wie der Feueralarm schrillte. Die Männer wurden zu einer Wohnung in einem nahe gelegenen Weiler gerufen. Eigentlich waren es nur ein paar Häuser, ein Katzensprung von Steenwijk entfernt. Eine Frau sah Rauch aus einer Wohnung im zweiten Stock des Nachbarhauses quellen. Als die Männer dort ankamen, hatte die Mieterin der Wohnung dasFeuer schon selbst erstickt, aber es gab noch immer Rauchentwicklung. Die Männer befürchteten, es könnte sich vielleicht um einen Schwelbrand handeln, und die Mieterin schien nicht ganz bei sich zu sein, als wäre sie betrunken oder stünde unter Drogen. Deswegen verschafften die Männer sich Zutritt zu der Wohnung. Sie stellten fest, dass die Frau versucht hatte, in der Küche Handtücher zu verbrennen, blutige Handtücher. Auf der Anrichte lag ein Paket mit Windeln. Es gab auch ein Milchfläschchen auf dem Küchentisch und Dosen mit Babynahrung in einem Regal und noch weitere Hinweise darauf, dass die Frau nicht allein lebte, obwohl sie das behauptete.«
    De Boer sah zum Fenster hinüber, vor dem die Büsche des Gartens im auffrischenden Wind hin und her schlugen. Er hielt die Zigarre, ohne daran zu ziehen. Irgendwo bellte ein Hund, und noch weiter entfernt erklang eine Autohupe, sonst herrschte Stille, bis auf den Wind und die raschelnden Büsche.
    »Plötzlich hörten die Männer ein Geräusch auf dem Balkon, oder vielleicht bildeten sie sich auch nur ein, das Geräusch gehört zu haben. Es klang wie ein ersticktes Wimmern. Einer, Conrad Mueller, ging auf den Balkon hinaus. Es war ein warmer Septemberabend, und da stand ein Gartentisch, und daneben lag ein umgekippter Stuhl, als wäre jemand abrupt aufgesprungen, weil er ganz plötzlich eine Idee gehabt hatte für etwas, das er unbedingt sofort erledigen musste. Auf dem Tisch lag ein Päckchen Zigarettentabak zum Selberdrehen, und ein Berg Kippen quoll über den Aschenbecherrand, alle mit Lippenstift am zerquetschten Papier. Und dann standen da noch eine halb volle Flasche Wodka und ein Glas. Ich weiß das alles so genau, weil es immer wieder in Muellers Erzählungen auftauchte, immer wieder, in genau der Reihenfolge. Mueller war ein ordentlicher Mann, ein sehr ordentlicher Mann. Deswegen bückte er sich, um den Stuhl aufzuheben und bei der Gelegenheit auch noch die Bierflaschen, die da herumlagen, gleich neben einem großen Sack mit Blumenerde. Etwas Blumenerde war auf den Boden des Balkons verschüttet, da lag auch eine kleine Schaufel, und auf der Brüstung des Balkons standen mehrereBlumentöpfe, elf oder zwölf, als sollten sie noch etwas von der Sonne abkriegen. Tja, und da hörte er es wieder.«
    De Boer schwieg, und Van Leeuwen schwieg auch. Die Sonne war hinter den Bäumen weiter draußen untergegangen, und es wurde dunkel und kühl im Wohnzimmer. De Boer leerte sein Glas und griff nach der Flasche, um sich nachzuschenken. Seine Lippen glänzten feucht.
    »Was hörte er?«, fragte der Commissaris.
    »Das Wimmern«, antwortete De Boer. »Das Winseln. Aus einem der Blumentöpfe. Es klang wie das Greinen eines Babys, eines Neugeborenen. Er traute seinen Ohren nicht, denn nirgendwo war ein Kind zu sehen. Auch nicht unten, im Hof vor dem Balkon. Es gab einen Baum, doch in dem Baum saßen keine Vögel oder kleine Tiere, die so einen Laut von sich gegeben haben könnten. Hinter dem Hof und dem Baum kam eine Wiese, sonst nichts, kein Weg, auf dem jemand vielleicht einen Kinderwagen schob. Dann fiel sein Blick auf die Blumentöpfe, und er sah, dass in einem davon die Erde frisch war, noch dunkel und feucht, und immer, wenn er davon erzählte, brach an dieser Stelle jedes Mal seine Stimme, und er konnte nicht mehr weiterreden. Er fing an, die Erde aus dem Blumentopf zu klauben, mit einer Hand, mit den Fingerspitzen. Mit der anderen Hand hielt er den Tontopf fest, und die Erde ließ er

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