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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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geworden, und die Straße führte nach Steenwijk.

32
    Der Oktoberhimmel war grau wie Wolfsfell, und ein niedriger Südwestwind trieb die Dünung der Markersee in flachen Wellen auf das Ufer zu. Der Schrei der Silbermöwen fügte dem Morgen die ersten Wunden zu. Die Farben des Tages – das Rostrot der Häuser, das matte Grün der Wiesen, das Weiß der Birken – trugen noch nicht aus eigener Kraft. Aber bald würde die Sonne aufgehen, der Himmel seinen grauen Schleier verlieren und nur noch blau sein.
    Der Commissaris und seine Mannschaft waren um sieben Uhr früh aufgebrochen, und während der Fahrt durch Amsterdam und auf den ersten Kilometern in der Dunkelheit außerhalb der Stadt hatten sie nur wenig geredet. Mit dem beginnenden Tag verblasste die Armaturenbeleuchtung, und etwas später schaltete Gallo die Scheinwerfer aus.
    »Kannst du mal das Radio anmachen?«, fragte Vreeling. »Ich hör gern Musik beim Autofahren.«
    Gallo drehte den Einschaltknopf des Radios nach rechts, aber nichts geschah, nur ein monotones Rauschen drang aus den Lautsprechern, und auch der Zeiger bewegte sich nicht über die Skala.
    »Du kannst ja selber singen«, meinte Julika.
    Vreeling schloss die Augen, als müsste er diesen Vorschlag ernsthaft prüfen. Dann nickte er und sang. » Roll up «, sang er, » roll up for the magical mystery tour, step right this way «, er hob beide Hände und schüttelte sie mit gespreizten Fingern wie ein Vaudeville-Tänzer, »roll up for the mystery tour! The magical mystery tour is waiting to take you away …«
    »Das reicht«, sagte der Commissaris. »Wir sind nicht auf einer Vergnügungsreise.«
    »Mögen Sie die Beatles nicht?«, fragte Vreeling und versuchte es noch einmal: »Magical mystery tour ist dying to take you away, dying to take you today …«
    Der Commissaris drehte sich um und sah Vreeling über die Rücklehne des Beifahrersitzes an. »Was hast du über Conrad Mueller bei den Kollegen vom Bezirk Steenwijkerland in Erfahrung gebracht?«
    Vreeling ließ die Hände sinken. »Nichts. Vor fünfundzwanzig Jahren sind die alle noch in kurzen Hosen herumgelaufen.«
    »Ist ihr Archiv auch in kurzen Hosen herumgelaufen?«, fragte Gallo.
    »Die Akten waren im Keller gelagert und sind bei einer Überschwemmung vernichtet worden.«
    »Und die Medien – Zeitung? Rundfunk?«, erkundigte sich der Commissaris.
    »Die Redakteure des Steenwijkerland Express haben wahrscheinlich die kurzen Hosen der Polizisten aufgetragen«, antwortete Julika, »und beim Nieuws TV Steenwijk haben sie nicht mal ein Archiv.«
    Der Commissaris drehte sich wieder nach vorn. »Dann müssen wir bei Conrad Mueller ansetzen, bei seinen Freunden und Verwandten, den Kollegen bei der Feuerwache in Steenwijk. Wie heißt der zuständige Brandschutzleiter?«
    »Mit denen habe ich schon gesprochen«, sagte Hoofdinspecteur Gallo. »Offenbar erinnert jeder sich an Conrad Mueller, aber der, der ihn am besten kannte, war sein Vorgesetzter, Cor de Boer. Mijnheer de Boer ist inzwischen pensioniert, aber er lebt noch. Er wohnt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Steenwijk.«
    Es wurde jetzt schnell hell. Die Sonne hatte ein Loch in der grauen Wolkendecke gefunden, und die weite Fläche der See, hier und da getüpfelt vom fleckenlosen Weiß schwimmender Möwen, breitete sich links von der Straße aus.
    »Roll up, roll up for the mystery tour «, sang Vreeling ganz leise. » The magical mystery tour … « Seine Stimme erstarb, und auch sonst sagte niemand mehr ein Wort.
    Sie fuhren, ohne viel zu reden. Eintönig zogen Stromdrähte sich von Mast zu Mast, über einem Fleckenteppich von abgeernteten Feldern und Äckern, in dem rot geziegelte, reetgedeckte Gehöfte mit Misthaufen vor den Küchenfenstern und Milchkannen im Schatten der Bretterscheunen anheimelnde Inseln bildeten. Pappeln standen mit silber flirrenden Blättern vor dem blauen Himmel; ungemähte Wiesen zerflossen in wogendem Grün. Bewässerungsgräben durchschnitten das Land, und immer wieder drang der Geruch von Dung und Mist in den Wagen.
    Stämmige Mühlen schlugen mit trägen Flügeln Räder im Wind. Schnell wie in einem Videoclip jagten Wolkenfetzen unter der Sonne durch, und das Land schien zu flackern, es wurde abwechselnd dunkel und wieder hell. In der einen Sekunde wirkte alles wie ein unterbelichtetes Foto, und dann, im nächsten Moment, begann es zu gleißen und zu funkeln, jeder Graben, jede Pfütze, bisVreeling sang: Lucy in the Sky with Diamonds , und niemand

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