TotenEngel
und eine leere Wäscheleine. Neben der Esche kauerte ein Holzschuppen, dessen Tor offen stand. Drei Hammerschläge zerbrachen die Stille, ein Nagel klirrte auf einen Steinboden.
Der Commissaris klopfte an die Tür des Schuppens. Im Halbdunkel erkannte er einen schlanken, leicht gebeugten Mann, der sich nach dem heruntergefallenen Nagel bückte. »Mijnheer de Boer?«, fragte er.
Cor de Boer war nicht sehr groß, und er war auch nicht so kräftig, wie man sich einen Feuerwehrmann vorstellte, der mit einer Axt in der Faust in ein brennendes Haus eindrang oder einen Bewusstlosen aus den lodernden Flammen rettete. Er trug eine Brille mit Metallfassung, und zwischen den schütteren weißen Haaren schimmerte die mit kleinen Leberflecken übersäte Kopfhaut. Scharf zeichneten sich die Schulterknochen unter dem einfachen gelben Baumwollhemd ab. Die ausgebeulte Leinenhose wurde von Hosenträgern an Holzknöpfen gehalten. Er richtete sich wieder auf, drehte sich zur Tür um und blinzelte in die Helligkeit. »Ich bin mit der Kiste schon fast fertig«, sagte er. »Ich muss nur noch den Deckel zurechtsägen, und dann brauche ich ein Schloss. Und dann mache ich neue Fensterläden.«
Der Commissaris erklärte: »Mein Name ist Bruno van Leeuwen. Ich bin Polizeibeamter in Amsterdam. Wir untersuchen den Tod von Conrad Mueller.«
»Wer ist tot?«
»Conrad Mueller, Sie waren zusammen bei der Feuerwehr von Steenwijk.«
»Ach, Mueller, ja … Das ist aber schon lange her.« De Boer trat an Van Leeuwen vorbei auf den Hof, und jetzt konnte der Commissaris sehen, dass ein Teil seiner Gesichtshaut auf der linkenWange aus vernarbtem, totem Gewebe bestand. Es war heller als der Rest, mit braun-rötlichen Rändern und sah künstlich aus, wie eine nur halb fertiggestellte Maske. Dem Rest hatte das Alter zugesetzt, das einen Menschen zuverlässiger in Asche verwandelte als jedes Feuer.
»Sie erinnern sich also an ihn?«, hakte Van Leeuwen nach.
»An Mueller? Natürlich, jeder hier erinnert sich an ihn. Er war … es war schrecklich, was mit ihm passiert ist. Schrecklich. Leider habe ich keine Zeit. Heute ist der Todestag meiner Frau, und ich muss auf den Friedhof. Kommen Sie heute Nachmittag wieder.«
»Wann heute Nachmittag?«
»In ein paar Stunden, nicht zu früh. Ich gehe allein zum Grab. Ich kann Sie nicht mitnehmen.«
»Das verstehe ich.« Van Leeuwen nickte. Er machte kehrt und ging den Weg, auf dem er gekommen war, weiter, bis er eine Wiese erreichte. Er ging an der Wiese entlang, und hinter der Wiese begann ein Waldstück, und er ging eine ganze Weile durch den Wald und dachte an nichts. Als er hungrig wurde, sah er auf die Uhr und wunderte sich, wie spät es schon war. Er beschloss umzukehren. Er traf zur selben Zeit wie Cor de Boer bei dem letzten Haus auf dieser Seite des Dorfes ein.
»Kommen Sie.« De Boer ging voran zur Hoftür des Hauses und stieg mühsam die drei Steinstufen hinauf, die schon im Schatten lagen. In der Diele herrschte Kühle, und es roch nach Essen. Aus der Küche hinter einer angelehnten Tür drang das Klirren von Pfannen und Töpfen; heißes Fett zischte.
Der Commissaris fragte: »Was können Sie mir über ihn sagen? Über Mijnheer Mueller?«
De Boer führte Van Leeuwen durch die dunkle Diele in das Wohnzimmer. »Haben Sie schon mit den anderen gesprochen?«
»Welchen anderen?«
»Die mit ihm in dem Haus waren.«
Ein süßlicher Blumengeruch schwebte in dem kaum geheizten Raum, dazu die schale Ausdünstung von alten, ungelüfteten Teppichen und kaltem Zigarrenrauch. De Boer ging zu einem derFenster, zog die Gardine beiseite und öffnete die von getrockneten Regentropfen fast undurchsichtigen Flügel. Sonnenschein fiel auf die ausgeblichenen Läufer und eine mit abgesessenen Schutzbezügen verhüllte Polstergarnitur. Die Schmiedeeisenschlösser einer grün gestrichenen und mit Blumenmustern verzierten Bauerntruhe fingen das Licht aus der Luft und verwandelten es in stumpfen Glanz. Auf der Kommode hing ein großer beleuchtbarer Globus in schräger Axialbefestigung an einem Messingständer. Ein großes Holzkreuz schien sich von einer der weiß gestrichenen Wände zu neigen.
»In welchem Haus?«, fragte der Commissaris.
De Boer ging leicht gebeugt auf den Esstisch in einem Alkoven am anderen Ende des Raumes zu. »Sind Sie nicht wegen dem Haus hier? Ich dachte, es ginge um das Haus und die toten Kinder.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Ich esse gern zeitig, solange es noch hell ist. Sie mögen doch
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