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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Opfer zu töten? Wieso schafft er die Leiche nicht weg, um sie zu verstecken? Hat er keine Angst, entdeckt zu werden? Warum nicht? Weil er glaubt, nichts Böses zu tun? Oder überkommt es ihn einfach, ein Trieb, dem er hilflos ausgeliefert ist? Wie sieht seine Persönlichkeitsstruktur aus? Weißt du noch, Ton, wie du vor zwei Wochen auf der Fahrt zu der Schule von Gerrit Zuiker gesagt hast, vielleicht hat der Mörder ihm einen Gefallen getan? Ich glaube, da hattest du schon den Schlüssel zur Lösung des Falls. Das glaubt der Mörder nämlich auch, dass er seinen Opfern einen Gefallen tut. Dass er ein guter Mensch ist.«
    Es könnte auch ein Vogelschwarm sein , dachte er: Die roten Metallknöpfe könnten Zugvögel sein, die in Keilformation in Richtung Overijssel fliegen, einer an der Spitze, die anderen hinterher, und die Nachzügler flattern noch hier bei uns in Amsterdam herum.
    Inspecteur Vreeling fuhr sich mit beiden Händen ratlos durch die kurzen dunkelbraunen Locken. »Sollen wir denn jetzt alle Todkranken und Verzweifelten, jeden Erbarmungswürdigen, der am Ende ist, und alle, die nicht mehr leben wollen in ganz Amsterdam oder den gesamten Niederlanden, überwachen, um den Mörder nächstes Mal auf frischer Tat zu ertappen? Oder wie wär’s mit einem Aufruf: Kommt zu uns, alle, die ihr mühselig und beladen seid, damit wir euch Personenschutz gewähren können …«
    »Nein«, murmelte der Commissaris. Er stand auf und trat an die Magnetkarte, denn plötzlich war ihm eine andere Landkarteeingefallen, die er erst kürzlich zu Hause im Atlas studiert hatte – die Karte war ihm eingefallen und darauf ein Fluss, der Yangtsekiang, der irgendwo in den Bergen Chinas klein und unscheinbar aus der Erde sprang und immer breiter wurde, während er dem Meer zuströmte, bis er in einem Stausee hinter dem Drei-Schluchten-Damm aufgehalten wurde.
    Das war die Form, an die ihn die roten Metallknöpfe erinnerten, der Yangtse von oben. Die Quelle des Flusses musste irgendwo bei Steenwijk sein, eines Flusses aus Blut, eines zinnoberroten Stroms, der sich krümmte und wand und dabei immer breiter wurde, bis er Amsterdam erreichte.
    »Nicht in ganz Holland«, bemerkte er gedankenverloren, »nicht überall …«
    Er entsann sich, dass Doktor Menardi gestern gesagt hatte, der Mörder könnte im Lauf der Zeit sein Tätigkeitsfeld ausgeweitet oder verlagert haben, vielleicht mehrmals. »Hört mal zu«, meinte er. »Wenn man, der Logik folgend, davon ausgeht, dass die Zahl der Opfer eines ungefassten Serientäters eher zunimmt, als niedriger zu werden, dann lässt die Form des Musters nur einen Schluss zu: Er hat sich von da, wo es die wenigsten Opfer gab, auf den Ort zubewegt, an dem die bisher größte Anhäufung zu verzeichnen ist – Amsterdam –, um von dort noch einen gelegentlichen Ausflug ins Umland zu unternehmen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat die Mordserie also da ihren Anfang genommen, wo der älteste ungeklärte Todesfall gemeldet worden ist.«
    »Was für ein Muster?«, fragte Vreeling, aber der Commissaris antwortete nicht. Er berührte den obersten Metallknopf, der sich nur einen halben Millimeter links unterhalb von Steenwijk an die Karte klammerte. »Julika, welches ist der älteste Fall auf unserer Liste?«
    Brigadier Tambur zog den Computer zurate; ihre Finger mit den farblos lackierten Nägeln flogen über die Tastatur. »Conrad Mueller«, sagte sie. »Getötet im Oktober 1983.«
    »In Steenwijk?«
    »Ja.«
    »Und wir haben keinen älteren Fall?«
    »Nein.«
    »War das der Feuerwehrmann?«
    »Ja.«
    »Was wissen wir über Mijnheer Mueller?«
    »Also bis jetzt nur, dass er neunundvierzig Jahre alt war, als er starb, am dritten Oktober …«
    »… vor fünfundzwanzig Jahren«, fiel ihr der Commissaris ins Wort. »Wenn wir annehmen, dass der Mörder frühestens mit sechzehn Jahren zum ersten Mal zugeschlagen hat, müsste er jetzt also mindestens einundvierzig sein, plus minus ein oder zwei Jahre.«
    »Warum gerade mit sechzehn?«, fragte Inspecteur Vreeling.
    Van Leeuwen kehrte der Karte den Rücken; er fühlte sich auf einmal leicht, wie erlöst. »Er kann auch später angefangen haben – vielleicht mit achtzehn oder zwanzig –, aber nicht sehr viel später: Die Zahl der Opfer spricht dagegen.« Er trat ans Fenster, sah hinunter auf die Bäume und die Gracht. »Am Anfang waren die Abstände zwischen den Morden größer, erst mit der Zeit wurden sie kürzer, und selbst da hat sich das Tempo nur langsam

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