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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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nichts gesagt, und man hätte ihr auch nichts angesehen. Sie hat ja meistens keine Arbeit gehabt oder immer nur Gelegenheitsjobs, deswegen gab es auch keine Kollegen, denen so eine Schwangerschaft vielleicht aufgefallen wäre. Sie fragen sich, wie sie die Kinder zur Welt gebracht hat? Das habe ich mich auch gefragt, und in der Zeitung stand – in der, die auch das Foto von mir gedruckt hat –, da stand, sie hätte die Babys allein zu Hause zur Welt gebracht, im Badezimmer, in der Küche, was weiß ich, wo. Nie im Krankenhaus oder mithilfe einer Hebamme. Und hinterher hat sie alles vergessen. Das hat sie gesagt: Immer wenn die Wehen einsetzten, habe ich zu trinken angefangen, Wodka und Genever, wegen der Schmerzen, und hinterher habe ich die Babys mit einer Decke zugedeckt, damit sie nicht frieren mussten, und wahrscheinlich bin ich dann eingeschlafen. Es kann sein, dass sie unter der Decke erstickt sind, hat sie gesagt, und ich habe sie dann in den Blumentöpfen begraben, weil ich wollte – sie sollten wissen, dass ich in ihrer Nähe bin. Ich wollte ihnen immer nahe sein. Ich bin doch ihre Mutter.«
    Gallo hatte die Hände in die Taschen geschoben, und in den Taschen waren sie zu Fäusten geworden. Er stand im Licht, das aus dem Fenster fiel, mit gesenktem Kopf, als starrte er in einen Abgrund, von dem ihn nicht mal mehr ein kleiner Schritt trennte. Ohne aufzublicken, fragte er: »Was ist mit dem Vater des Neugeborenen, das der Feuerwehrmann noch lebend in dem Blumentopf gefunden hatte?«
    »Sie sagte, den kennt sie nicht.« Janneke Geers stemmte sich mühsam hoch. »Da wüsste sie nicht mal den Namen, hat sie gesagt. Das wäre nur etwas für ein paar Nächte gewesen, im Urlaub.«
    »Wissen Sie denn, was aus dem Kind geworden ist? War es ein Mädchen oder ein Junge?«
    »Ein Junge, soweit ich weiß. Er kam in ein Heim oder zu entfernten Verwandten. Es ist gut für ihn, dass er weggebracht wurde. Ich glaube, woanders wäre das nicht passiert. Es ist dieser Ort.« Sie umarmte sich, als wäre ihr jetzt doch kalt. »Wissen Sie, das sieht hier alles nur so friedlich aus; das ist alles nur Schein. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass die Leute auf den Bänken vor ihren Häusern da hinten im Dorf nicht nur einfach so dasitzen, tagsüber in der Sonne. Sie brüten. Sie brüten vor sich hin. Das ist so, seit damals die Kinder gefunden wurden. Das hat hier alles verändert, alles und alle, mich auch. Seitdem … Seitdem fragen wir uns, ob wir auch wie sie sind, wie Sara Scheffer, ob das auch in uns liegt. Ich hatte ja nur wenig Kontakt zu ihr, niemand hatte Kontakt zu ihr. Sie war nie richtig da, und scheu, sie war sehr scheu. Und natürlich war sie immer betrunken, nicht so, dass sie lallte oder herumbrüllte, nur wie in einem Nebel. Wie soll ich sie beschreiben? Manche haben gesagt, sie wäre ein Tier gewesen und hätte auch so gelebt, aber das stimmt nicht. Es war eher so, dass ihr ein bisschen was zum Menschen fehlte. Wissen Sie, wie wenn in ihr nur so eine Ahnung gewesen wäre, dass sie ein Mensch war, dass es ein Leben für Menschen gab und dass es woanders stattfand, an einem Ort weit weg, den zu erreichen zu viel Mühe kostete. Und jetzt schauen Sie mal – schauen Sie sich mal die Menschen hier an. Jetzt ist es allen klar geworden, dass hier zu leben das Fegefeuer ist, in dem man zum Mörder werden kann. Alle wissen es. Und was tun sie? Warten.« Sie nickte mit einem Frösteln, das ihren Atem weiß einfärbte. »Jeder wartet darauf, dass es wieder passiert.«
    »Ja«, sagte Gallo, »aber das ist nicht nur hier so. Danke, dass Sie mit mir geredet haben.« Er sah zu, wie Janneke Geers das Fenster wieder schloss und das Licht im Haus ausging, und auch danach rührte er sich nicht vom Fleck. Mit den Fäusten in den Taschen der Pilotenjacke stand er reglos da und sah hinaus auf die Felder, starrte in die Dunkelheit.
    »Was macht er da?«, fragte Inspecteur Vreeling. »Warum kommt er nicht zurück?«
    »Er kommt schon«, sagte Van Leeuwen.
    »Er ist gerade wieder in Srebrenica«, sagte Julika.
    »Srebrenica? Das verstehe ich nicht.«
    Van Leeuwen erklärte: »Ton war während des Bosnienkrieges als Freiwilliger bei dem niederländischen Kontingent der SFOR -Truppen auf dem Balkan. Als der größte Teil des Blutvergießens vorbei war, sollten die Soldaten dort für Frieden zwischen den verfeindeten Bevölkerungsgruppen sorgen, zwischen bosnischen Serben und bosnischen Kroaten, zwischen Christen und Moslems. Während

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