Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
Vom Netzwerk:
des Krieges war es zu sogenannten ethnischen Säuberungen der Serben gekommen, anders ausgedrückt: Zahllose Kroaten wurden abgeschlachtet und in Massengräbern verscharrt, Männer, Frauen und Kinder. Und auch als unsere Truppen schon da waren, kam es zu weiteren Massakern, denen sie einfach zusehen mussten, weil sie laut Mandat nicht eingreifen durften und auch nicht bewaffnet waren. Wenn nach dem Krieg so ein Grab gefunden und geöffnet wurde, spielten sich Szenen ab, für die es keine Worte gibt – bei den Identifizierungen der Leichen durch Ärzte und Forensiker und überlebende Familienmitglieder. Kinderleichen, verstümmelt und verscharrt. Frauen, vergewaltigt, getötet, in Gruben geworfen und zugeschüttet. Wir sehen uns bei den Identifizierungen , war eine stehende Redewendung in Srebrenica und Sarajewo und anderswo. Oder: Wir kennen uns von den Identifizierungen, erinnern Sie sich? Und Ton war dabei.«
    »Scheiße«, murmelte Vreeling.
    Sie sahen zu der großen, schlanken Gestalt am Rande des Feldwegs hinüber, und Van Leeuwen dachte an Cor de Boer und seinen beleuchteten Globus. Schauen Sie, das ist sie! Schauen Sie her!, und er schaute und dachte, dass es nicht die Erde war, sondern die Menschen. Menschen, die ihre eigenen Kinder töteten. Und Menschen, die seltsame, unheimliche Bilder malten, hinter denen sich mehr verbarg, als sie zu zeigen schienen.
    » Day after day «, sang Vreeling leise, die Augen auf Gallogerichtet, » alone on the hill, the man with the foolish grin is keeping perfectly still …«
    »But nobody wants to know him, they can see that he’s just a fool«, fiel Julika ein . «And he never gives an answer …«
    »But the fool on the hill sees the sun going down …«
    »And the eyes in his head see the world spinning round …«
    »Die Magical Mystery Tour ist zu Ende«, unterbrach der Commissaris sie. Er öffnete die Tür, stieg aus und rief: »Wir fahren zurück, Ton!« The Fool on the Hill , dachte er; vielleicht bin ich dieser Idiot auf dem Hügel, und vielleicht besteht der Hügel aus lauter Leichen, die im Lauf der Jahre immer größer geworden sind.

34
    »Während der ganzen Rückfahrt spukte Doktor van der Meer durch meine Gedanken«, erzählte der Commissaris, »er und die Gemälde in seinem Büro und die Frage, an welchen Platz im Puzzle sie gehören. Ich habe die Teile immer wieder betrachtet, aus jedem Blickwinkel, von allen Seiten, und nach einer Verbindung zwischen den toten Kindern von Steenwijk und dem Plastiktütenmörder gesucht. Ich war mir sicher, dass es eine Verbindung gab, es musste eine geben. Aber als wir Amsterdam erreichten, hatte ich immer noch nicht mehr als eine Ahnung, und immer wenn ich mich dieser Ahnung zu nähern versuchte, gelangte ich an diesen scheußlichen kleinen Punkt, an dem ich lieber an etwas anderes dachte.
    Ich hatte das Gefühl, von einer Reise in die tiefste Nacht zurückzukehren, einem Horrortrip in die schwärzeste Dunkelheit, und ich freute mich auf die Stadt, auf die von Menschen wimmelnden Straßen, den Lärm, die Touristenboote und die Trambahnen mit ihrem andauernden Klingeln, das immer so ungehalten klingt. Ich freute mich auf die kleinen Plätze und verborgenen Winkel, die malerischen Ecken, deren Geheimnis einzig und allein darin liegt, dass es sie noch gibt. Ich freute mich auf die von Schlingpflanzenüberwucherten Kaimauern, die tangbewachsenen Brückenpfeiler, die Kanäle mit ihren plätschernden Wellen, die wir sonst gar nicht mehr hören. Ich freute mich auf alles, auf die schlanken Ulmen und die knorrigen Platanen an den Uferstraßen und die altmodischen, umgebauten Gaslaternen und ihr sanftes Licht. Sogar auf die Möwen, die von morgens bis abends das Kopfsteinpflaster und das schwarze Wasser der Grachten nach Nahrung absuchen, den ganzen Tag, und dabei geben sie dieses komische, quietschende Krächzen von sich wie ein ungeöltes Eisenscharnier.
    Ich freute mich auch auf die hohen, schmalen Häuser mit ihren vorspringenden Giebeln, Treppen und Balkonen, fast so, als gehörten sie mir, als wäre ich einer dieser gerissenen, scharf rechnenden Kaufleute, die hinter ihren Fassaden die ganze Welt ausbeuten und immer ausgebeutet haben, um ihre schamlos erworbenen Vermögen weiter zu vergrößern. Ich freute mich auf mein Café an der Ecke, die Coffeeshops überall, die Märkte und Kirchen und, ja, auch auf die violetten Fenster, hinter denen schöne Frauen aus der halben Welt ihre Körper für Geld verkaufen, weil sie weder

Weitere Kostenlose Bücher