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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Mördern, dem, den er kannte, und dem unbekannten. Sie hätte ihn gefragt: Was denkst du ? Und er hätte geantwortet: Ich glaube, es gibt noch mehr Opfer, ohne dass ich sagen könnte, warum.
    Später, als sie dann nicht mehr wusste, wer er war, hätte er ihr einfach nur so davon erzählt, auch wenn ihm klar war, dass sie ihn nicht mehr verstand. Und sie hätte gelächelt und vor sich hin gesummt und gesagt: Nicht so schlimm .
    Auf einmal erklangen metallische Töne hinter ihm, gefolgt von stampfenden Schritten. Er drehte sich um und bemerkte einen Jogger, der einen der schmalen Pfade entlanglief. Der Jogger trug ein rotes Unterhemd, eng anliegende rote Lurex-Shorts und schmutzige weiße Turnschuhe. Der Schweiß bildete dunkle Halbmonde im Hemd unter seinen Achseln. Seine Haut war sonnenverbrannt. An seinen Hüften wippte ein MP 3-Player, der so laut eingestellt war, dass die Musik aus seinen Kopfhörern schepperte. EineSonnenbrille, eine Taucheruhr am linken Handgelenk und ein Pulsmesser am rechten vervollständigten seine Ausrüstung. Keuchend brach der Jogger durch die Äste, die in den Pfad ragten, und rannte grußlos an Van Leeuwen vorbei.
    Der Commissaris kehrte zurück zum Grab. Er bückte sich, hob seinen Trenchcoat auf und klopfte ein paar Blätter und trockene Halme ab. Es ging auf Mittag zu; der Friedhof füllte sich jetzt langsam mit Angehörigen der Toten und Spaziergängern. Van Leeuwen verabschiedete sich nie groß, denn in einer Woche kam er ja wieder, und Sim wusste das und war da. In Gedanken sagte er: Unser Gutsherr, Baron Trelawney, Doktor Livesay und die übrigen Herren drangen in mich, eine genaue Darstellung unserer Reise nach der Schatzinsel niederzuschreiben und nichts auszulassen als die Angabe ihrer Lage, und auch das nur, weil dort noch ungehobene Schätze liegen …
    Vor ihrem Tod hatte er ihr oft vorgelesen, meistens aus der Schatzinsel von Robert Louis Stevenson. Es hatte keine Rolle gespielt, was er gelesen hatte, denn sie hatte nur noch seine Stimme erkannt, und selbst davon war er manchmal nicht ganz überzeugt gewesen. Aber das Buch hatte immer zu ihren Lieblingsromanen gehört, und nach einer Zeit fragte niemand mehr nach dem Sinn oder Grund einer Gewohnheit.
    Er hatte das Gefühl, durch die Erde in Sims Grab hineinsehen zu können und dann durch den Holzdeckel des Sarges, in dem sie so lag, wie sie all die letzten Jahre im Bett neben ihm gelegen hatte: auf dem Rücken, die Hände über der Brust gefaltet und das Gesicht ausdruckslos wie das einer schlafenden Löwin. Sie lag dort aber nicht in völliger Dunkelheit, sondern in dem ungewissen Zwielicht, in dem auf dem Meeresboden die versunkenen Galeonen lagen.
    Sein eigener verborgener Schatz. Nur er wusste, dass es ihn gab, und nur er wusste, wo er lag. Schlaf gut, sagte er lautlos, und träum nicht von ungehobenen Schätzen.
    Der Jogger war umgekehrt. Seine trampelnden Schritte hallten auf dem Boden. Er näherte sich wieder dem Grab, begleitet von der scheppernden Musik und seinen hechelnden Atemstößen. Van Leeuwen hoffte, dass er einen Bogen um die Stätte machen würde,doch der Pfad führte dicht daran vorbei, und die schmutzigen Turnschuhe folgten dem Pfad. Nicht hier, dachte er; meinetwegen überall sonst, aber nicht hier! Er wartete, bis der Jogger ganz nah war, dann stellte er sich ihm abrupt in den Weg.
    Der Jogger erschrak, geriet aus dem Rhythmus und öffnete wütend den Mund. Dann sah er Van Leeuwens Miene und schloss den Mund wieder. Er wurde blass unter der Sonnenbräune, schlug einen Haken und versuchte, um den Commissaris herumzulaufen. Van Leeuwen kam ihm zuvor und schnitt ihm auch dort den Weg ab. »Das ist ein Friedhof und kein Laufställchen!«, brüllte er. »Hier liegt meine Frau, und ich will, dass sie nicht gestört wird! Ich will, dass sie ihre Ruhe hat! Hast du das kapiert, Freundchen?! Du kannst hier spazieren gehen oder dich irgendwo unter einen Baum setzen, aber du trampelst hier nicht herum, nicht da, wo meine Frau schläft!«
    Der Jogger lief jetzt noch schneller, und dann rannte er, und ein Stück hielt der Commissaris mit, bis der Pulsmesser des Joggers zirpende Signale von sich gab, und das brachte Van Leeuwen wieder zur Besinnung. Schwer atmend blieb er stehen. Sein Herz raste, und sein ganzer Mund schien zu brennen.
    Ohne sich noch einmal umzuschauen, verschwand der Jogger im Dickicht. Der Commissaris ging zurück zu Simones Grab und hob seinen Trenchcoat auf. »Es tut mir leid«, sagte

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