TotenEngel
er.
Nicht so schlimm, antwortete Sim.
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Der Commissaris sagte: »Wir haben es also mit zwei Morden durch Ersticken zu tun. Im einen Fall steht der Täter schon fest – er ist geständig, schweigt sich aber über das Motiv aus. Im anderen gibt es bisher weder einen Verdächtigen noch ein Motiv, zumindest keins, das sich aus dem Leben des Opfers ableiten lässt. Der Mörder, der gestanden hat, ist ein Chinese namens Zheng Wu. Das Opfer ist sein Cousin Jun Wu und wurde mit einer Drahtschlinge erdrosselt.Das zweite – eigentlich das erste – Opfer heißt Gerrit Zuiker und hat als Lehrer in einer Sekundarschule in Oost gearbeitet. Mijnheer Zuiker ist mit einer Zellophan- oder Plastiktüte erstickt worden. In Abstimmung mit dem Staatsanwalt übernehmen wir die Ermittlung in beiden Fällen.«
Er saß auf dem Beifahrersitz des Einsatzwagens, Inspecteur Vreeling und Brigadier Tambur hinter sich, während Hoofdinspecteur Gallo den VW Golf durch den dichten Berufsverkehr steuerte. Der Wagen hatte schon 128 000 Kilometer auf dem Tacho, und je nach Zustand der Straße leuchteten abwechselnd die rote Tankanzeige, das Öllämpchen oder das Symbol für die Batteriespannung und manchmal auch alle gleichzeitig. Sie fuhren in einer dichten Kolonne aus Bussen, Lastwagen und Motorrollern auf der Stadhouderskade in Richtung Oost, und Van Leeuwen drehte sich immer wieder zu Vreeling und Julika Tambur um, die sich einen großen Coffee to go mit zwei Strohhalmen teilten.
»Was hat Gerrit Zuiker am Abend seines Todes in de wallen gesucht?«, fragte der Commissaris. »Warum hatte er eine Pistole, eine Walther P 38, bei sich? Was wollte er damit? Wo hatte er sie her – als Lehrer? Wer war der Junge, dem er gefolgt ist? War es einer seiner Schüler? Und wenn ja, warum ist er ihm nachgegangen? Steckte der Junge in Schwierigkeiten, vielleicht wegen Drogen, und wollte Zuiker ihm helfen? Diese Cherry hat einen Mann mit einem durchsichtigen Regenmantel aus Plastik und einer Baseballkappe gesehen, der ihm gefolgt ist – ihm oder beiden. Wer war der Mann? Warum ist er ihnen nachgegangen? Das sind die Fragen, auf die ich Antworten haben will.«
Hoofdinspecteur Gallo sagte nichts, und auch Julika und Inspecteur Vreeling schwiegen. Der Commissaris blickte aus dem Fenster. Sein Blick wurde von der Tag und Nacht eingeschalteten Neonreklame des Spielcasinos am anderen Ufer der Singel angezogen. »Von Zuikers Frau weiß ich, dass er sich verfolgt fühlte«, fuhr er fort, »beobachtet und verfolgt. Offenbar war er mit Leib und Seele Lehrer, hatte es aber nicht leicht – er fand keinen Draht zu den Schülern. Er war sehr unglücklich – frustriert, sogar verzweifelt,hatte das Gefühl, zu ersticken! Aus dem Internet hat er sich eine Art Manifest heruntergeladen, von einem jungen Südkoreaner – Cho Seung Hui –, der vor ein paar Jahren in Amerika an einer Universität Amok gelaufen ist: Blacksburg, Virginia. Übrigens auch mit einer Walther und einer 9mm Glock. Zweiunddreißig Tote. Mevrouw Zuiker hat erzählt, dass Gerrit in letzter Zeit immer mehr trank und von morgens bis abends ununterbrochen ein bestimmtes Lied hörte – Help me if you can … «
»… I’m feeling down «, fiel Brigadier Tambur ihm ins Wort.
»Genau das Lied meine ich«, bestätigte der Commissaris. »Ihre Ehe hatte praktisch aufgehört zu existieren, seine Frau wirkte völlig verbittert. Es muss für beide die Hölle gewesen sein.«
»Klingt, als hätte der Mörder ihnen einen Gefallen getan«, meinte Gallo. Er hielt an einer roten Ampel, und eine Bö trieb gelbes und rotes Laub auf die Fahrbahn und weiter zu den Baggern und Planierraupen, die den Platz vor dem Rijksmuseum umpflügten. Die Terrakottamauern des Museumsgebäudes ragten wie die Stirn eines Bischofspalastes über die Dauerbaustelle vor den Eingängen. Ein Himmel von scharfem Blau spannte sich über den weiß verzierten Türmen. An der Fassade warb ein großes Plakat für eine Ausstellung mit Werken eines toten Malers, der wahrscheinlich genauso unglücklich gewesen war wie Gerrit Zuiker und mit Pinsel und Öl Help me if you can auf Leinwand oder Pappe gemalt hatte, versteckt in Bildern von sonnendurchglühten Landschaften, pastosen Stillleben und qualerfüllten Selbstporträts.
»Ja, aber warum hat der Täter ausgerechnet diesen modus operandi gewählt ?«, hakte der Commissaris nach. »Warum hat er ihn nicht erstochen oder erschossen? Weil er nicht wollte, dass es wie ein Mord aussieht? Also, was sagt
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