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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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zur Decke reichte – Denkmal des unbekannten Forensikers. Er seufzte und meinte: »Warum bin ich nicht Schönheitschirurg geworden? Ich könnte meinen Patienten von morgens bis abends in den parfümierten Räumen einer luxuriösen Klinik zu klassischer Musik die Brüste vergrößern, das Fett absaugen oder die Nase brechen, und wenn die Narkose nachlässt, würden alle wieder aufwachen, und jeder wäre schöner und glücklicher als vorher. Ich wäre umgeben von dankbaren Gesichtern, deren Schwellungen allmählich zurückgehen, statt sich immer mehr zu zersetzen, und ich könnte unglaublich hohe Rechnungen ausstellen, die an unglaublich reiche Leute gehen. Können Sie mir sagen, warum ich nicht Schönheitschirurg geworden bin?«
    »Weil unglaublich reiche Leute ihre Rechnungen immer erst so spät bezahlen«, gab der Commissaris zurück.
    »Die Rechnungen bezahlen sie überhaupt nicht, erst die Mahnungen«, sagte der Pathologe. »Und da, wo Skalpell und Spritzen nicht hinreichen, bleiben sie so hässlich wie die Methoden, mit denen sie ihr Geld gemacht haben. Aber trotzdem – diese Posten! Alles hätte einen Preis. Stellen Sie sich vor«, er deutete auf Jun Wu und auf Gerrit Zuiker, »an all das könnte man ein Preisschild hängen! Man könnte es addieren und jemand die Rechnung schicken.«
    »Es hängt schon ein Preisschild dran«, sagte Van Leeuwen, »und jemand wird die Rechnung bekommen.« Er wandte sich von dem Edelstahltisch ab und ging zur Tür. Kurz bevor er sie erreicht hatte, blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. »Warum hat er sich nicht stärker gewehrt? Warum ist er nicht weggelaufen?«
    Holthuysen gluckste wieder, als hätte er gerade einen weiteren Posten entdeckt, den er auf seine Rechnung setzen könnte. »Wir Forensiker unterscheiden zwischen dem hypoxischen Ersticken, beidem der Sterbende noch ausatmen kann, und dem bereits eingangs erwähnten asphyktischen – pulslosen – Ersticken, bei dem sowohl die Zufuhr von Sauerstoff als auch das Ausatmen verhindert werden. Das beim asphyktischen Ersticken nicht ausgeatmete Kohlendioxid drückt auf das Atemzentrum, was zu hochschnellender Atemfrequenz, beschleunigtem Herzschlag und erhöhtem Blutdruck führt. Bevor er das Bewusstsein verliert, hat der Sterbende das Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen, und leidet unter Todesangst. Dieses Phänomen liegt bei unserem chinesischen Importmodell hier vor.«
    Er deutete auf Cousin Wu, ehe er den ausgestreckten Zeigefinger zu dem im Schatten der ausgeschalteten OP -Lampe liegenden Gerrit Zuiker wandern ließ. »Bei diesem da, gefertigt und zugelassen in Holland, handelte es sich um die hypoxische Variante, bei der ein Sterbender nicht das Gefühl hat zu ersticken – im Gegenteil: Er verspürt ein Hochgefühl, eine Art Euphorie. Das heißt, er kommt gar nicht auf die Idee, sich zu wehren oder zu fliehen, weil er den Sauerstoffmangel nicht als bedrohlich empfindet. Und wenn die Sauerstoffzufuhr nachhaltig genug unterbrochen wird, ist man in knapp zehn Sekunden bewusstlos und nicht mehr in der Lage, sich wieder zu befreien.«
    »Was bedeutet das im Fall von Mijnheer Zuiker?«, fragte der Commissaris.
    Holthuysen strahlte. »Der Mörder wollte ihn vielleicht glücklich sterben lassen.«

9
    Die Möwe flog dicht über dem Wasser, wo die Luft fast silbrig war. Mit sparsamen weißen Flügelschlägen glitt sie unter dem Wind dahin, und dann stieg sie plötzlich auf und ließ sich vom Luftwiderstand zurückwerfen. Eine Zeit lang schien sie im Dunst zwischen Himmel und Fluss stillzustehen, ehe sie wieder in den Wind drehte und sich fallen ließ und mit dem Bauch sekundenkurz die kabbeligen Wellen berührte. In meinem nächsten Leben werde ich eineMöwe, dachte Bruno van Leeuwen. »Wie würde es dir gefallen, als Möwe wiedergeboren zu werden, Sim?«, fragte er.
    Er saß neben Simones Grab im Gras und sah auf die Amstel hinaus, die im unbeständigen Licht fortwährend die Farbe wechselte, von Blaugrün zu gleißendem Messing und Zinngrau, wenn Wolken unter der Sonne vorübertrieben. Kleine Wellen rollten am Ufer entlang und schwappten zwischen den tangbewachsenen Steinen vor und zurück. In der Mitte des Flusses tuckerten Frachtkähne mit rostigem Schanzkleid am Friedhof vorbei, und dort, wo ihre Heckschrauben das Wasser aufwirbelten, veranstalteten die Möwen die reinste Flugschau. Van Leeuwen saß gern an dieser Stelle neben dem Grab, im Schatten einer großen Tanne, und sah auf die Amstel.
    Seit Simones

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