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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Sie’s raus.«
    Darin war ich bisher nicht besonders gut, dachte Van Leeuwen – herauszufinden, wer mit wem ein Verhältnis hat. »Und du wusstest davon?«
    »Jeder wusste es!«, brach es aus dem Jungen hervor. »Jeder wusste davon, nur er wollte es nicht wissen. Er tat so, als wäre nichts. Dabei wusste er es die ganze Zeit: Seine Frau, die er angeblich liebte, und sein bester Freund, sein sogenannter bester Freund . Und er hat nichts dagegen getan, gar nichts. Er wusste es, und so einer will einem was beibringen, einer, der überhaupt keine Ehre hat! Der verdient auch keinen Respekt!«
    Sein bester Freund, Pieter Hoekstra ; da war sie, die Wahrheit – oder wenigstens ein weiteres kleines Stück davon. Ein kleines Stück Wahrheit und vielleicht ein Motiv für einen Mord.
    »Und jetzt ist er tot«, fügte Ruud mit einer hitzigen, enttäuschtenBitterkeit hinzu, die Van Leeuwen mehr aufbrachte als alles, was er bisher von dem Jungen gehört hatte.
    »Ja, jetzt ist er tot«, sagte der Commissaris scharf, »und da wir gerade dabei sind, bei Ehre und Respekt – was du gemacht hast, mit deinem Handy, dass du deinen Lehrer zu Hause gefilmt hast, als es ihm schlecht ging, dass du es heimlich getan und den Film dann ins Internet gestellt hast, das verdient erst recht keinen Respekt. Denn jemand, der so was tut, hat genauso wenig Ehre und nicht die Spur von Anstand!«
    Darauf erwiderte Ruud nichts, er sah Van Leeuwen nur an, als versuchte er, in seinem Gesicht zu lesen oder sogar dahinter. Schließlich wandte er sich ab und ging mit gesenktem Kopf über den Hof davon, wobei die Beine der Cargohose den Asphalt fegten. Das gelbe Laub stob auf und wirbelte um ihn herum wie ein Hornissenschwarm. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. »Darf ich Sie auch mal was fragen?«
    »Ja.«
    »Warum machen Sie das? Er ist doch tot, oder? Und Sie können ihn auch nicht wieder lebendig machen. Geht ihm ja wohl nicht besser davon, oder?«
    »Woher weißt du das?«, entgegnete Van Leeuwen. »Woher weißt du, dass es ihm da, wo er jetzt ist, nicht besser geht, wenn ich herausfinde, wer ihn auf dem Gewissen hat? Und selbst, wenn es ihm nicht besser geht – mir geht es auf alle Fälle besser! Und willst du auch wissen, warum das so ist? Weil es in meiner Stadt passiert ist, da, wo ich verantwortlich bin, wo ich dafür hätte sorgen müssen, dass ihm nichts geschieht. Ich weiß, dass das nicht geht, doch es wäre schön, und deswegen fühle ich mich besser, wenn ich wenigstens den Mörder gefasst habe.«
    Er redete zu dem Jungen, und er redete zu sich selbst, und während er sprach, wurde ihm leichter zumute; er hatte ein Stückchen der Wahrheit gesehen. »Die Toten haben nämlich Angehörige, Menschen, die sie geliebt haben und die wegen ihres Todes Schmerz empfinden, und zwar einen Schmerz, der bleibt, der zwanzig oder dreißig oder siebzig Jahre anhält; der nicht vergeht.«
    Der Junge legte den Kopf schief. »Aber das sind doch fremde Leute, mit denen haben Sie doch gar nichts zu tun. Warum kümmern Sie sich um das Leben von Fremden?«
    »Das Leben von Fremden ist mein Leben.«
    Der Junge schien einen Moment über Van Leeuwens Worte nachzudenken. Dann sagte er: »Es ist aber nicht Ihre Stadt«, und ging wieder über den Schulhof davon, und diesmal drehte er sich nicht noch einmal um.
    Der Commissaris kehrte noch einmal zur Turnhalle zurück, vor der die Schüler in kleinen Gruppen bei der Tür standen. Einige hatten sich auf den Boden gesetzt, und ein paar spielten mit dem Ball, versuchten, Körbe zu werfen oder ihn sich gegenseitig abzunehmen. Der Commissaris hielt nach Pieter Hoekstra Ausschau, konnte ihn jedoch nirgendwo mehr entdecken. Er trat zu einer der Gruppen. »Wo ist denn Mijnheer Hoekstra?«, fragte er.
    »Der musste plötzlich weg«, meinte ein Mädchen.
    »Hat er gesagt, wohin?«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nur, dass wir jetzt eine Freistunde haben.«
    Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, dachte der Commissaris, oder genauer: ein Verhalten. Aber aus beidem konnte man auch falsche Schlüsse ziehen. In Gedanken ging er noch mal die Aussage des Turnlehrers durch und dann die des Jungen, setzte die Stückchen Wahrheit zusammen, und als er das Bild betrachtete, das sie ergaben, sah er darauf nicht nur Gerrit Zuiker, Margriet und Pieter Hoekstra. Er sah auch jemanden, den er dort nicht erwartet hatte, weil er nicht dazugehörte; es war ein Geist, der sich zu reden weigerte.
    Er holte sein

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