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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Handy heraus und rief den Staatsanwalt an, und danach wählte er Margriet Zuikers Nummer, und weil beide nicht da waren, hinterließ er jedem eine Nachricht auf der Mailbox, allerdings nicht dieselbe. Auf dem Schulhof entdeckte er Inspecteur Vreeling und Brigadier Tambur, zu denen sich gerade auch Hoofdinspecteur Gallo gesellte. Er winkte ihnen, um sich über die Ergebnisse ihrer Befragungen ins Bild setzen zu lassen.
    »Können wir das nicht beim Essen machen?«, schlug Julika vor. »Ich komme um vor Hunger. Wie wär’s mit ein paar schönen Pfannkuchen mit Sirup und …«
    »Nein«, sagte Van Leeuwen. »Zum Essen haben wir keine Zeit. Aber wir können es auf den Abend verlegen, wenn ihr auch bei den Eltern der Schüler wart.«
    »Welchen Eltern?«, fragte Julika.
    »Allen Eltern, deren Kinder bei Zuiker Unterricht hatten. Lasst euch im Sekretariat eine Liste geben, teilt sie unter euch auf, und fangt gleich damit an. Schaut nicht so komisch! Heutzutage ist alles möglich, auch dass Lehrer von den Eltern ihrer Schüler umgebracht werden. Wir sehen uns dann später im Hoofdbureau.«
    »Und Sie wollen wirklich nichts essen?! Wo gehen Sie denn hin?«
    »Zum Chinesen«, antwortete Van Leeuwen.

13
    Zheng Wu saß in seinem Rollstuhl und sagte kein Wort, und je länger er schwieg, desto chinesischer wirkte sein Gesicht. Seine Augen waren schwarz und schmal, die Lippen zusammengepresst und seine Gesichtszüge verschlossen. Wenn der Commissaris ihm eine Frage stellte, sah er den Commissaris an; stellte der Staatsanwalt ihm eine Frage, wanderte sein Blick zum Staatsanwalt. Aber er zog es vor, keine der Fragen zu beantworten, es sei denn, man wollte ein Muskelzucken um den Mund oder einen Lidschlag als Antwort deuten.
    Sie saßen in einem der Verhörzimmer im obersten Stockwerk des Präsidiums an einem Tisch mit einem Tonbandgerät und einem Mikrofon darauf. Aber da der Chinese schwieg, drehten sich die großen Spulen des altmodischen Apparats nur, um ihr eigenes unregelmäßiges Quietschen aufzunehmen. Schließlich beugte der Commissaris sich vor und stellte das Gerät ab.
    »So kommen wir nicht weiter, Mijnheer Wu, und das ist sehrbedauerlich«, bemerkte Procureur Caspar Piryns, der Staatsanwalt. »Verstehen Sie uns überhaupt? Oder möchten Sie, dass wir einen Dolmetscher holen?«
    »Er versteht uns«, sagte der Commissaris, »und sein Englisch ist ausgezeichnet.«
    »Ich bin hier, weil ich Ihnen helfen möchte«, erklärte der Staatsanwalt. Van Leeuwen arbeitete gern mit Procureur Piryns zusammen, weil er mit ihm nur gute Erfahrungen gemacht hatte. Der Staatsanwalt hörte lieber zu, als dass er redete. Wenn er sprach, waren seine Worte durchdacht, und sein Standpunkt hatte Hand und Fuß. Er brachte einen Fall erst vor Gericht, wenn er ihn wirklich vertreten konnte, und dann führte er die Anklage so, dass am Ende alle zufrieden sein konnten, oft sogar die Angeklagten und ihre Verteidiger.
    Darüber hinaus war Caspar Piryns vom Openbaar Ministerie eine elegante Erscheinung. Er hatte volles, fast weißes Haar und strahlend blaue Augen. Seine Haut war zerfurcht und zerklüftet, wirkte jedoch trotzdem alterslos. Er war groß und hielt sich sehr gerade: So stellte man sich einen Heiligen vor, einen königlichen Heiligen, der beim Gehen einen Ebenholzstock benötigte, allerdings einen mit Silberknauf, bei dem es nicht verwundert hätte, wenn darin eine Degenklinge verborgen gewesen wäre. Heute trug er einen silbergrauen Glencheck-Anzug, robbengraue Wildlederschuhe und ein steif gebügeltes, apricotfarbenes Hemd mit silbernen Manschettenknöpfen. »Wir wollen Ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, Mijnheer Wu, aber vor der Gerechtigkeit steht immer die Wahrheit«, erklärte er jetzt, »und je mehr Sie dazu beitragen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, desto größer wird die Aussicht auf einen fairen und gerechten Prozess.«
    Zheng Wu schwieg weiter. Er trug immer noch denselben schwarzen Anzug, in dem er seinen Cousin erdrosselt hatte, auch das weiße Hemd, nur die Schnürsenkel in den Turnschuhen und der Gürtel fehlten. Er sah müde aus. Das verschnittene Haar stand struppig vom Kopf ab, vielleicht ein Spiegelbild seiner Seelenlandschaft. Sein Gesicht wirkte dunkel vor Erschöpfung, wie einfeuchtes Lindenblatt im November, die Haut dagegen straff und glatt. Als wäre er schon vor langer Zeit einbalsamiert und beerdigt und dann wieder ausgegraben worden, dachte der Commissaris.
    »Mijnheer Wu?«
    Zheng Wu sah zu den

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