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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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jetzt so groß, dass sie fast das ganze Gesicht zu verschlingen schienen und dazu noch einen Teil des Herbsthimmels und der Blätter, die vom Wind durch die Luft geweht wurden.
    »Bist du jetzt bereit für meine Fragen?«, wollte Van Leeuwen wissen.
    Der Junge nickte.
    »Gut. Also, Ruud, wo warst du am Freitag? Sagen wir, von Anbruch der Dunkelheit bis Mitternacht.«
    »Ich?« Ruud verschränkte die Arme vor der Brust. »Wieso ich? Keine Ahnung, hab ich vergessen … «
    »Dann helfe ich dir, darin bin ich gut. Du warst auch in de wallen, und zwar zur selben Zeit. Du hast ihn dort sogar gesehen.«
    »Wen?«
    »Mijnheer Zuiker. Er ist dir gefolgt …«
    »Ich habe niemand gesehen«, rutschte es dem Jungen heraus.
    »Da warst du also?«
    »Kann sein.«
    »Ihr hattet schon am Vormittag eine Auseinandersetzung auf dem Schulhof«, fuhr der Commissaris fort. »Worum ging es dabei?«
    »Um nichts.«
    »Welche Fächer hat er eigentlich unterrichtet?«
    »Mathe.«
    »Ging es darum, um den Unterricht?«
    »Nein.«
    »Oder ging es nicht eher um den Film, den du mit deinem Handy von ihm gedreht und dann ins Internet gestellt hast?«
    Der Junge wandte sich jäh ab und sah zur Schule hinüber, zu den grauen Gebäuden mit den rot gestrichenen Fensterrahmen. »Wer sagt das?«
    »Warum hast du das gemacht, Ruud? Warum hast du Zuiker heimlich gefilmt und ihn dann mit dem Clip auf YouTube bloßgestellt?«
    Der Junge fing an, mit der Spitze seines rechten Turnschuhs auf dem Asphalt herumzuscharren. »Nur so.«
    »Nur so? Er hat dich nicht ungerecht behandelt oder dir schlechte Noten gegeben oder bei deinen Eltern angeschwärzt?«
    Ruud sah den Commissaris verständnislos an. »Nein.«
    »Ihr habt ihn gequält, du und ein paar von den anderen Jungen«, sagte Van Leeuwen. Er merkte, dass seine Hand mit dem gelben Notizblock zitterte, und dachte, dass es an dem kühlen Wind lag, der über den Platz fegte. »Warum?«
    »Aus keinem besonderen Grund.« Jetzt bückte Ruud sich und verknotete umständlich die offenen Schnürsenkel, erst am linken, dann am rechten Turnschuh. »Er hat … er hat das irgendwie herausgefordert, okay?«
    »Nein, das ist nicht okay! Mit wem hast du an dem Abend in de wallen telefoniert?«
    »Telefoniert? Mit niemand.«
    Van Leeuwen zwang sich, ruhig zu bleiben. »Zeugen haben dich gesehen, und sie haben auch Mijnheer Zuiker gesehen, aber vor allem haben sie gesehen, wie du telefoniert hast, als er dir aufgefallen ist. Ich könnte mir vorstellen, dass du einen Kumpel angerufen und Verstärkung gerufen hast, weil du dachtest, er verfolgt dich. Nur zur Sicherheit. Und als dein Kumpel dann kam, ist die ganze Sache ein bisschen aus dem Ruder gelaufen …«
    »So war das nicht. Ich war ganz allein, und er ist plötzlich auf mich los und hat mich geschlagen …«
    »Einfach so?«
    »Genau, einfach so …«
    »Das ist keine gute Lüge, Ruud.«
    Der Junge richtete sich nicht auf, obwohl er mit dem Zuschnüren fertig war. »Was ist denn eine gute Lüge?«, fragte er.
    »Eine, die ich noch nie gehört habe«, sagte der Commissaris. »Also, noch mal: Warum hat er das getan?«
    »Keine Ahnung. Er war schon die ganze Zeit komisch …«
    »Und wen hast du angerufen?«
    »Ich hab niemand angerufen. Meine Mutter – meine Mutter hat mich angerufen, weil sie wissen wollte, wann ich nach Hause komme, weil … es war ja schon spät, und dann bin ich auch nach Hause …«
    »Wir werden das überprüfen«, erklärte der Commissaris. »Wie lautet deine Adresse zu Hause? Wie heißt deine Mutter mit Vornamen? Unter welcher Nummer kann ich sie erreichen und dich auch, falls ich noch Fragen habe?«
    Ruud kam hoch, und weil er nicht wusste, was er sonst noch mit seinen Händen machen sollte, vergrub er sie in den Hosentaschen. Er nannte dem Commissaris die Straße, die Hausnummer und sämtliche Telefonanschlüsse, außerdem die Vornamen seiner Mutter und seines Vaters. Van Leeuwen notierte sie mit einem Kugelschreiber auf dem gelben Block. Dann meinte er: »Gut, weiter: Als Zuiker dich geschlagen hat, was hast du da getan?«
    »Nichts.«
    »Du fängst an, mir auf die Nerven zu gehen, Kleiner. Du lügst immer noch – und immer noch nicht gut!«
    Ruuds Augen schienen sich an Van Leeuwens Gesicht festzusaugen. »Als ich weggegangen bin, hat er noch gelebt.«
    »Also hast du ihn doch geschlagen. Genauso wie am Vormittag auf dem Schulhof.«
    »Nein, auf dem Hof hier hab ich ihn doch überhaupt nicht getroffen. Es war, wie ich gesagt hab, er hat

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