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Totenflut

Titel: Totenflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bent Ohle
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fand das Foto in dem Umschlag. Es war ein Hochglanzfoto und noch gut erhalten. Darauf war ein völlig abgemagerter Mann zu sehen, der in einem in den Boden eingelassenen Kerker gefangen war. Seine knorrige Hand reckte er durch ein Eisengitter zum Himmel. Im Hintergrund war eine alte Fabrik mit einem Schornstein zu sehen.
    Schröder reichte Elin das Foto. Sie erkannte sofort, wie die sadistischen Phantasien des Mörders mit seiner Geschichte zusammenhingen. Ein Bild, für immer in die Seele gebrannt. Brender beugte sich vor und nahm Elin das Foto vorsichtig aus der Hand. Ohne ein Geräusch von sich zu geben, rannen ihm die Tränen aus den Augen. Ein nicht enden wollender Fluss. Ein endloses Rinnsal aus stummen Tränen.
    Die Männer schoben die Liege durch die Tür zur Leichenhalle und stellten sie neben einen freien Seziertisch. Weise stand am Waschbecken und trocknete sich gerade seine Hände ab. Einer der Männer übergab Weise den Totenschein.
    Â»Ausnahmsweise mal ein Selbstmord, wie’s aussieht!«, sagte er.
    Weise las den Schein im Licht der Lampe über dem Tisch durch, während die beiden den Leichensack auf den Seziertisch beförderten. Sie verabschiedeten sich und Weise war nun allein. Er zog sich Latexhandschuhe an und zog den Reißverschluss des schwarzen Plastiksackes auf.
    Ein lauter, wimmernder Schrei entfuhr seiner Kehle, als er seine Mutter erkannte.
    Â»Lesen Sie weiter!«, sagte Brender. Schröder nahm die Seiten wieder zur Hand.
    Ich wusste, dass nur er das gewesen sein konnte. Sein Vater ahnte ja von all dem nichts.
    Seit diesem Tag fühlte ich mich ständig beobachtet. Bis heute. Egal wo ich hinzog, ich konnte dieses Gefühl nicht loswerden. Ich habe Angst vor ihm. Angst, dass er mich eines Tages heimsucht, Angst, dass er sich rächen will. Ich habe Angst, meinem Mann zu begegnen. Angst vor seinen Fragen, Angst vor seinen Augen. Ich bestehe nur noch aus Angst. So habe ich beschlossen, dieser Angst zu entfliehen. Ich hoffe, sie verfolgt mich nicht bis über den Tod hinaus.
    Carmen Brender.
    Schröder legte den Brief nieder. Minutenlang herrschte Schweigen. Bis Brender die Stille brach.
    Â»Ich will meinen Jungen sehen! Finden Sie ihn, bitte!«

Kapitel 36
    Â»Sie hatten mir etwas versprochen!«, sagte Elin. Sie saßen in einem Restaurant und wollten zu Mittag essen. Schröder spielte gedankenverloren mit seiner Gabel herum. Er drückte die Zinken in die Tischdecke und beobachtete, wie die Abdrücke langsam wieder verschwanden.
    Â»Schröder?«
    Â»Ja, ja! Ich hatte einen Freund verdächtigt! Er ist Arzt. Es passte einfach so vieles.«
    Â»Und jetzt nicht mehr?«
    Â»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass der Mörder mich kennt, vielleicht auch Sie! Wir müssen vorsichtig sein. Er ist näher an uns dran als wir an ihm!«, sagte Schröder.
    Â»Was ist mit Ihnen? Sie sehen so deprimiert aus.«, fragte Elin.
    Â»Deprimiert? Ist das ein Wunder nach all dem? Ich habe das Gefühl, dass die ganze Welt nur noch aus Opfern besteht. Wo ich hinsehe, sehe ich nur Opfer.«
    Â»Sie sind ein Pessimist! Ein frustrierter Pessimist!«
    Â»Das ist meine Wahrheit! So begegnen mir die Dinge Tag für Tag. Ich sehe keine reinen Täter mehr. Unser Mann … etwas Schrecklicheres habe ich noch nie gesehen. Aber wenn ich mir den kleinen Axel Brender dort unten im Keller vorstelle, tut er mir Leid. Er tut mir Leid. Auch Frau Brender tut mir Leid.«
    Â»Aber er bleibt trotzdem ein brutaler Mörder.«, sagte Elin.
    Â»Sicher! Und ich glaube auch, dass Menschen wie er nicht mehr heilbar sind. Wenn Menschen eine gewisse Schwelle übertreten haben, gibt es kein Zurück mehr. Diese Menschen sind verloren, und man kann nichts weiter tun, als alle anderen vor ihnen zu schützen. Das ist doch deprimierend. Und wenn Sie glauben, dass Sie besser damit umgehen können, belügen Sie sich selbst!«, sagte Schröder.
    Â»Was macht Sie da so sicher?«, wollte Elin wissen. Schröder hatte sie zwar nicht beleidigt, doch sie empfand es als einen Angriff auf ihre Persönlichkeit.
    Â»Sie sind jung und hübsch, haben aber keinen Mann und keine Kinder. Sie reisen herum und, wie Sie selbst sagen, haben Sie kein Zuhause. Freunde können Sie auch kaum welche haben bei Ihrem Arbeitspensum. Sie sind eine Streberin, wollen immer nur die Beste sein. Sie sind umgeben von Mord und Leid und denken, es

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