Totenfrau
wird. Nie wieder. Dass der Sarg einfach in der Erde verschwinden wird. Dass der Tod zum Leben gehört, dass er sich einfach nimmt, was er will. Wie ein wildes Tier, das das Schaf zerreißt. Ein Auto, das aus dem Nichts kommt. Ein Unfall, der alles zerstört. Sonnenblumen, die einfach nach unten fallen. In schöneren Worten hat sie es gesagt, blumiger, verlogener, sie wollte die Kinder nicht erschrecken, sie verschonen vor der Wirklichkeit.
Der Friedhof. Die Sonne scheint. Reza kümmert sich um Karl. Er stützt den alten Mann, Karl kann kaum noch stehen, seine Beine wollen ihn nicht mehr tragen, er hat nicht gegessen, nicht geschlafen. Er ist gealtert, in drei Tagen um Jahre. Auch für ihn ist nichts mehr wie vorher. Er steht da und weint. Viele weinen, die Polizeikapelle spielt einen Trauermarsch, unzählige Kollegen sind da, Massimo spricht. Marks bester Freund, er erinnert sich an schöne Momente, an gemeinsame Einsätze. Einer von den Guten sei er gewesen, einer mit Herz und Seele, unvergesslich, ein Verlust für alle, die ihn kannten. Massimo weint.
Einer nach dem anderen wirft Erde nach unten. Die Trauergemeinde lässt ihn allein zurück. Mark in einem Sarg tief unten. Er bleibt liegen, sie gehen ohne ihn ins Gasthaus und trinken auf ihn. Der Leichenschmaus. Alle sitzen zusammen und geben sich Kraft. Sie bieten Blum Hilfe an, sie versichern ihr, dass alles wieder gut wird, sie haben Mitleid mit ihr, sie können ihr kaum in die Augen sehen, sie sind hilflos wie sie selbst. Ohnmächtig sitzt sie vor ihrer Hühnersuppe, ohnmächtig versucht sie, die Kinder zum Essen zu überreden. Mehr kann sie nicht tun. Für sie da sein, sie lieben, ihnen alles geben, was sie hat. Sie darf sie nicht alleine lassen mit ihrem Schmerz, mit ihrer Angst, die Kinder sind alles, was sie noch hat von ihm. Wie traurig sie sind. Wie stark, obwohl sie so klein sind. Wie sie einfach erdulden, was passiert ist, sich fügen. Wie sie still sitzen und warten, bis der Sturm vorüber ist. Wie Blum über ihre Haare streicht, über Umas, Nelas. Und wie Massimo Blum zur Seite nimmt. Wie er liebevoll seinen Arm um sie legt.
– Trink das.
– Nein.
– Doch, du trinkst das jetzt.
– Wenn du meinst.
– Es tut mir alles so leid, Blum.
– Ich weiß.
– Du weißt auch, dass ich immer für dich da bin.
– Du kannst ihn doch auch nicht zurückbringen, oder?
– Nein, das kann ich nicht. Mark war auch für mich einer der wichtigsten Menschen im Leben, ich bin es ihm schuldig.
– Was bist du ihm schuldig?
– Dass ich mich um dich kümmere.
– Niemand muss sich um mich kümmern.
– Doch, Blum. Ute und ich, wir können dir mit den Kindern helfen.
– Das ist nicht nötig.
– Du wirst jede Hilfe brauchen können, Blum, sei nicht so stur, ich meine es nur gut mit dir. Mit euch. Du weißt, wie gern ich euch habe.
– Du hast doch selber genug Probleme.
– Das ist jetzt nicht wichtig.
– Mark hat gesagt, du willst dich scheiden lassen.
– Nicht hier, Blum, bitte.
– Warum nicht? Lass uns über deine kaputte Ehe reden, lass uns über deine Frau sprechen, über ihr kleines Problem.
– Warum tust du das, Blum?
– Was mache ich denn? Schau sie dir doch an. Sie lallt, sie kann kaum noch stehen. Und es ist gerade Mittag. Vielleicht solltest du dich lieber um Ute kümmern und nicht um mich.
– Vielleicht sollte ich dich besser in Ruhe lassen.
– Ja, vielleicht solltest du das.
– Wie du meinst. Dann gehe ich.
– Nein.
– Was, nein?
– Bitte bleib. Es tut mir leid, Massimo. Das wollte ich nicht.
– Ist schon gut.
– Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ohne ihn. Die Kinder, alles. Ich weiß es nicht.
– Du wirst das schaffen.
– Und wenn nicht?
– Du hast Reza und Karl. Du hast mich.
– Ich möchte sterben. Verstehst du das? Einfach sterben, tot sein.
– Das willst du nicht. Du bist stark, Blum, du kannst das, auch ohne ihn.
– Nein.
– Ich verspreche dir, ich werde für dich da sein. Für dich und die Kinder.
Massimo streicht mit seiner rechten Hand über ihren Rücken. Auf und ab. Es ist das Einzige, das er tun kann, das Einzige, das hilft. Kein Wort macht es besser, Blum will nichts hören, sie will nicht nachdenken, sich die Zukunft nicht vorstellen, sie will nur, dass es Nacht wird, dass die Lichter wieder ausgehen, dass der Schlaf es besser macht. Nicht nachdenken, nichts spüren. Nur Massimos Hand, die auf und ab geht.
7
Zwei Wochen später. Zwei Wochen ohne ihn. Es ist immer noch Sommer, die
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