Totenfrau
war. Ihre Kleider, er hat sie ausgezogen, er hat sie ihr vom Leib geschnitten. Sie Stück für Stück entfernt, vielleicht hat er sie ausgepackt wie ein Geschenk. Alles tut weh, jeder Gedanke, die Tatsache, dass sie ihm ausgeliefert ist. Dass sie nichts mehr tun kann. Dass sie das Ruder nicht mehr in der Hand hat. Das Boot treibt einfach auf dem Meer.
Blum weiß, dass sie sterben wird. Blum gibt auf. Ihr Kopf hört auf, sich zu bewegen, er steht still. Sie versucht nicht mehr zu entkommen, sie liegt nur da. Sie starrt an die Decke und wartet. Darauf, was passieren wird. Was sie sehen wird. Spüren wird. Blum versucht, nicht an die Kinder zu denken. Sie will nicht. Kann nicht. Da ist nur sie, den Kindern geht es gut, den Kindern wird er nichts tun. Da ist nur das Geräusch der Kühlung. Das Surren der Neonröhre, der Blick an die Decke des Versorgungsraumes und der Wunsch, sich zu erinnern. An etwas Schönes. Egal was kommt, egal was mit ihr passiert, sie wird jetzt an etwas Schönes denken. Sie wird an Mark denken. Daran, was er gesagt hat, kurz bevor Uma auf die Welt gekommen ist. Daran, wie seine Finger über ihren Bauch strichen. Wie sie im Bett lagen. Mark und Blum.
– Ich habe Angst, Mark.
– Wovor?
– Vor dem, was da in meinem Bauch ist.
– Das musst du nicht.
– Ist aber so.
– Wir sind zusammen, Blum. Es kann nichts passieren. Gar nichts.
– Doch.
– Was?
– Alles wird sich verändern.
– Veränderung ist gut.
– Warum?
– Wenn der Winter vorbei ist und die Bäume wieder grün werden.
– Was ist dann?
– Frühling.
– Und?
– Dein Bauch ist wie Frühling.
– Ist er das?
– Ja.
Mark. Wie gut er tut. Die Gedanken an ihn. Was er gesagt hat. Wie er sie angeschaut hat vor viereinhalb Jahren. Dein Bauch ist wie Frühling . Und wie er sie geküsst hat. Überall hin, jeden Zentimeter Haut. Auf ihrem ganzen Körper seine Liebe, seine Lippen, das Geräusch, das sein Mund gemacht hat. Sie hört es. Tausend Küsse und mehr. Frühling, weil er da war. Frühling, auch jetzt. Egal was kommt. Mark ist bei ihr. Neben ihr, ganz nah. Egal was kommt, er hält sie fest umarmt.
Mit Gewalt holt sie die Bilder zurück. Ihr Blick starr nach oben. Weil er näher kommt. Weil er sich über sie beugt. Sein breites Grinsen, der bunte, aufgerissene Mund aus Plastik. Nur seine Augen, die sagen, dass sie zu langsam war, dass sich der Spieß umgedreht hat. Nicht er liegt auf dem Tisch, sondern sie. Nicht sie gewinnt das Spiel, sondern er. Der Clown. Massimo. Ein Fremder. Nur zwei Augen, eine Maske. Wie er sie anstarrt. Wie er immer näher kommt und flüstert. Leise, gerade so, dass sie es noch hören kann. Es hätte alles gut werden können, Blum. Nichts von alldem hätte passieren müssen. Nichts davon, verstehst du. Alles wäre gut geworden. Einfach nur du und ich. Massimo und Blum. Ihre Angst und die vertraute Stimme. Wie er sich verabschiedet von ihr. Fast liebevoll. Wie er ihr sagt, dass es vorbei ist. Dass er es beenden wird. Fast liebevoll verabschiedet er sich. Dass er sie geliebt hat. Dass er alles für sie getan hätte. Massimo. Wie er die Maske abnimmt und ihren Kopf fest zwischen seine Hände nimmt. Wie er sie festhält. Sie küsst. Seine Lippen auf dem Klebeband. Wie Schläge. Zwanzig Sekunden lang presst er seinen Mund auf ihren. Dann sticht er zu. Blum rührt sich nicht.
47
Endstation. Die ganze Nacht lang liegt sie da. Auf dem Versorgungstisch. Blum. Sie bewegt sich nicht. Doch sie atmet. Gleichmäßig hebt und senkt er sich, ihr Brustkorb, wenn sie einatmet. Ausatmet. Blums Augen sind offen. Was passiert ist, was er mit ihr gemacht hat, sie hat es sich eine Nacht lang ausgemalt. Sie hat den Nachmittag mit den Kindern verbracht, mit ihnen und Reza zu Abend gegessen, dann hat sie sich hingelegt. Die Tür abgeschlossen und sich hingelegt. Allein mit ihren Gedanken. Sie hat es vor sich gesehen. Wie er mit dem Messer in ihr wühlt. Wie er Reza zerschnitten hat. Blum hat sich das Schlimmste vorgestellt. Wie es sein könnte, was er mit ihr machen würde, ein Albtraum, der wirklich wird, wenn sie nichts dagegen tut. Wenn sie nicht sofort handelt. Sie muss, sie darf nicht mehr warten, darf nichts riskieren, sie will nicht herausfinden, was er weiß, was er nicht weiß. Sie darf ihm keine Gelegenheit geben, tiefer zu graben, Reza zu verdächtigen, sie muss es beenden. Bevor er seine Lippen auf ihre presst. Bevor es zu spät ist. Blum muss ihn anrufen. Ihn treffen. Sobald es hell ist, wird sie
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