Totengleich
– Brenda Grealey war auffällig an Einzelheiten interessiert, aber ich glaube, das ist bloße Sensationsgier. Keine der Reaktionen auf die Tat oder Lexies Rückkehr wirkte suspekt. Die Mitbewohner scheinen das ganze Ausmaß ihres Schocks vor den Ermittlungsbeamten verborgen gehalten zu haben, aber bei ihnen halte ich das nicht für verdächtig. Sie sind gegenüber Außenstehenden ausgesprochen zurückhaltend.«
»Wem sagst du das«, sagte Frank. »Was hast du für ein Gefühl?«
Ich rutschte hin und her, suchte eine bequemere Stelle auf der Mauer, wo sich mir nichts in den Hintern bohrte. Die Frage war schwieriger, als sie es hätte sein müssen, da ich noch nicht vorhatte, ihm oder Sam von dem Terminkalender zu erzählen, auch nicht von meinem Gefühl, dass mir jemand folgte. »Ich glaube, wir übersehen da irgendwas«, sagte ich schließlich. »Irgendwas Wichtiges. Ich weiß nicht, was es ist, vielleicht dein großer Unbekannter, vielleicht ein Motiv, vielleicht … ich weiß nicht. Ich hab einfach den starken Verdacht, dass hier irgendwas noch nicht an die Oberfläche gekommen ist. Dauernd meine ich, kurz davor zu sein, aber … «
»Hat es mit den Mitbewohnern zu tun? Der Uni? Dem Baby? Der May-Ruth-Sache?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ehrlich nicht.«
Sofafedern quietschten, als Frank nach irgendetwas griff – etwas zu trinken; ich hörte ihn schlucken. »Eins kann ich dir jedenfalls sagen: Mit dem Großonkel hat es nichts zu tun. Da hast du gewaltig danebengelegen. Der ist an Zirrhose gestorben. Hat dreißig oder vierzig Jahre in dem Haus gehockt und gesoffen, dann sechs Monate im Hospiz im Sterben gelegen. Keiner von den fünf hat ihn besucht. Genauer gesagt, er und Daniel hatten sich nicht gesehen, seit Daniel ein Kind war, nach allem, was ich rausfinden konnte.«
Selten war ich so froh darüber gewesen, mich geirrt zu haben, aber wieder überkam mich das Gefühl, nach Trugbildern zu greifen, wie ich es schon die ganze Woche hatte. »Wieso hat er Daniel dann das Haus vermacht?«
»Die Auswahl war nicht sehr groß. In der Familie sterben alle jung. Die einzigen noch lebenden Angehörigen waren Daniel und sein Cousin Edward Hanrahan, der Sohn der Tochter vom alten Simon. Eddie ist ein richtiger kleiner Yuppie, arbeitet bei einer Immobilienagentur. Anscheinend dachte Simon sich, Danny-Boy wäre das kleinere von zwei Übeln. Vielleicht hatte er mehr für Akademiker übrig als für Yuppies, oder vielleicht wollte er, dass das Haus mit dem Familiennamen verbunden bleibt.«
Gut für Simon. »Das muss Eddie ganz schön gestunken haben.«
»Und ob. Er stand dem Großvater nicht näher als Daniel, aber er hat das Testament angefochten, mit der Begründung, der Alkohol hätte Simon den Verstand geraubt. Deshalb hat auch die Testamentsvollstreckung so lange gedauert. Es war idiotisch, aber anscheinend ist unser Eddie keine besondere Geistesgröße. Simons Arzt hat bestätigt, dass er Alkoholiker war und ein grässlicher alter Mann, aber völlig zurechnungsfähig, und damit war die Sache vom Tisch. Nichts Verdächtiges in der Richtung.«
Ich sank auf der Mauer in mich zusammen. Ich hatte keinen Grund, frustriert zu sein, schließlich hatte ich nie ernsthaft geglaubt, dass die fünf Belladonna in Onkel Simons Gebisskleber gemischt hatten, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass um Whitethorn House irgendetwas Entscheidendes vor sich ging, irgendetwas, das ich nicht zu fassen bekam, obwohl es direkt vor meiner Nase war. »Tja«, sagte ich. »War auch nur so ein Gedanke. Tut mir leid, dass ich deine Zeit verschwendet hab.«
Frank seufzte. »Hast du nicht. Es muss immer alles überprüft werden.« Wenn ich diesen oder einen ähnlichen Satz noch einmal hörte, würde ich selbst jemanden umbringen. »Wenn du glaubst, sie benehmen sich verdächtig, dann ist da vermutlich auch was dran. Nur eben nicht deshalb.«
»Ich hab nie gesagt, dass ich glaube, sie benehmen sich verdächtig.«
»Vor ein paar Tagen hast du noch geglaubt, die hätten Onkel Simon ein Kissen aufs Gesicht gedrückt.«
Ich zog die Kapuze tiefer in die Stirn – der Regen wurde stärker, feine kleine Nadelstiche, und ich wollte nur noch nach Hause. Ich hätte nicht sagen können, was hier sinnloser war, diese nächtliche Beobachtungsmission oder dieses Gespräch. »Das hab ich nicht geglaubt . Ich hab dich bloß gebeten, die Sache zu überprüfen, für alle Fälle. Ich seh sie nicht als Mörderbande.«
»Hmm«, sagte Frank. »Und das
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