Totengleich
Zitronenmelisse sorgten im Haus für Wohlgeruch, Weinraute und Pimpinelle kamen in den Salat. »Das müssen wir mal ausprobieren«, sagte er, »einen Shakespeare’schen Salat. Gänsefingerkraut schmeckt wie Pfeffer, wusstest du das? Ich dachte, es wäre längst abgestorben, so braun und dürr war es, aber dann hab ich es bis auf die Wurzeln zurückgeschnitten, und auf einmal war da ein Hauch von Grün. Das wird jetzt schön wiederkommen. Es ist erstaunlich, wie hartnäckig Dinge auch unter widrigsten Umständen überleben. Wie unwiderstehlich stark er doch ist, dieser Drang zu leben und zu wachsen … «
Der Rhythmus seiner Stimme spülte über mich hinweg, ruhig und gleichmäßig wie Wellenrauschen. Ich nahm die Worte kaum noch wahr. Ich glaube, irgendwann sagte er hinter mir etwas über Zeit, was genau weiß ich nicht mehr, aber ein Satz ist mir in Erinnerung geblieben: »Die Zeit arbeitet so hart für uns, wenn wir es nur zulassen können.«
11
Eines übersehen die Leute leicht bei Sam, dass er nämlich die höchste Aufklärungsquote im Morddezernat hat. Manchmal frage ich mich, ob das nicht einen ganz einfachen Grund hat: Er verschwendet keine Energie. Andere Detectives, mich eingeschlossen, nehmen es persönlich, wenn irgendetwas falschläuft, sie werden ungeduldig und frustriert und ärgern sich über sich selbst und die Spuren, die im Sande verlaufen, und überhaupt den ganzen verdammten Fall. Sam versucht sein Bestes, und dann sagt er mit einem Achselzucken »na ja«, und probiert etwas Neues.
Im Verlauf der Woche hatte er sehr oft »na ja«, gesagt, wenn ich ihn fragte, wie es so lief, aber nicht auf seine übliche vage, diffuse Art. Diesmal klang er angespannt und gequält, jeden Tag einen Tick nervöser. Er hatte fast überall in Glenskehy an Haustüren geklopft und die Leute nach Whitethorn House befragt, war aber gegen eine glatte, glitschige Wand aus Tee und Keksen und leeren Blicken gelaufen. Nette junge Leute da oben im Haus, bleiben viel für sich, benehmen sich anständig, da gibt’s doch keinen Ärger, wieso auch, Detective? Schrecklich, was der jungen Frau passiert ist, ich hab einen Rosenkranz für sie gebetet, war bestimmt irgend so ein Kerl, dem sie in Dublin begegnet ist … Ich kenne dieses Kleinstadtschweigen, ich hatte auch schon damit zu tun, unfassbar wie Rauch und undurchdringlich wie Stein. Wir haben es jahrhundertelang im Umgang mit den Briten verfeinert, und er ist tief verwurzelt, dieser Instinkt, dass sich alle verschließen, sobald die Polizei auftaucht. Manchmal ist es wirklich nur das, aber dieses Schweigen ist kraftvoll, dunkel und verschlagen und gesetzlos. Es verbirgt noch immer Knochen, die auf irgendwelchen Hügeln verscharrt wurden, Waffenlager versteckt in Schweineställen. Die Briten haben es unterschätzt, sind auf die dümmlichen Blicke hereingefallen, aber ich und Sam, wir wussten beide: Es ist gefährlich.
Erst Dienstagnacht nahm Sams Stimme wieder diesen konzentrierten Tonfall an. »Hätte ich mir auch gleich denken können«, sagte er munter. »Wenn die nicht mit den hiesigen Kollegen reden wollen, warum sollten sie es dann mit mir tun?« Er hatte die Taktik gewechselt, ein Taxi nach Rathowen genommen und einen Abend im Pub verbracht. »Byrne hatte gesagt, die Leute da halten nicht viel von den Glenskehy-Leuten, und ich hab mir gedacht, jeder lästert doch mal gern über seine Nachbarn, also … «
Und er hatte recht gehabt. Die Stammgäste im Pub in Rathowen waren ganz anders drauf als die Leute in Glenskehy: Binnen dreißig Sekunden erkannten sie ihn als Cop (»Na, junger Mann, Sie sind bestimmt wegen dem Messerüberfall auf die junge Frau hier, was?«), und den Rest des Abends hatte er umringt von faszinierten Farmern verbracht, die ihm ein Bier nach dem anderen spendierten und fröhlich versuchten, ihm irgendwelche vertraulichen Informationen über die Ermittlung zu entlocken.
»Byrne hatte recht: Die Leute da finden, Glenskehy ist eine Irrenanstalt. Das hat zum Teil mit der üblichen Rivalität zwischen kleinen Orten zu tun – Rathowen ist einen Tick größer, hat immerhin eine Schule und eine Polizeiwache und ein paar Geschäfte, und für die Einheimischen ist Glenskehy ein ödes Provinzkaff. Aber hier steckt mehr dahinter. Die glauben ernsthaft, dass die aus Glenskehy nicht alle Tassen im Schrank haben. Einer hat gesagt, er würde keinen Fuß ins Regan’s setzen, nicht für Geld und gute Worte.«
Ich saß auf einem Baum, trug meine Mikrosocke und
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