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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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rauchte eine. Seit ich von den Schmierereien gehört hatte, fühlte ich mich auf den nächtlichen Wegen unruhig, exponiert. Ich war nicht gern da unten, wenn ich telefonierte und meine Aufmerksamkeit abgelenkt war. Ich hatte mir einen Schlupfwinkel oben in einer großen Buche gesucht, gleich dort, wo die Zweige anfingen und der Stamm sich aufspaltete. Mein Hintern passte genau in die Gabel, ich hatte in beide Richtungen freie Sicht auf den Weg und auf das Cottage weiter unten am Hang, und wenn ich die Beine hochzog, verschwand ich zwischen dem Laub. »Haben sie was über Whitethorn House gesagt?«
    Kurze Pause. »Ja«, sagte Sam. »Das Haus hat keinen guten Ruf, in Rathowen ebenso wenig wie in Glenskehy. Das hängt zum großen Teil mit Simon March zusammen – er war ein verrückter alter Sack, nach allem, was man so hört. Zwei von den Typen da haben gesagt, er hätte mal auf sie geschossen, als sie Kinder waren und sich aufs Whitethorn-Grundstück geschlichen hatten. Aber das ist nicht alles.«
    »Das tote Baby«, sagte ich. Bei den Worten glitt etwas Kaltes und Glattes mitten durch mich hindurch. »Wussten sie irgendwas darüber?«
    »Ein bisschen. Ich bin nicht sicher, ob sie alles bis ins Einzelne richtig wiedergegeben haben – du wirst gleich sehen, was ich meine –, aber wenn es auch nur ansatzweise stimmt, ist es keine schöne Geschichte. Nicht gut für die Whitethorn-House-Leute, meine ich.«
    Er legte eine Pause ein. »Na und?«, sagte ich. »Die vier sind nicht meine Familie , Sam. Und falls die Geschichte nicht irgendwann in den letzten sechs Monaten passiert ist, wovon ich nicht ausgehe, da wir sonst schon davon gehört hätten, kann sie mit keinem von ihnen zu tun haben. Ich bin bestimmt nicht tief gekränkt, weil Daniels Urgroßvater vor hundert Jahren irgendwas angestellt hat. Ehrenwort.«
    »Also gut«, sagte Sam. »Laut der Rathowen-Version – es gibt ein paar Abweichungen, aber das ist der Kern des Ganzen – hatte ein junger Kerl aus Whitethorn House vor vielen, vielen Jahren eine Affäre mit einem Mädchen aus Glenskehy, und sie wurde schwanger. So was kam natürlich ziemlich oft vor. Das Problem war nur, dass dieses Mädchen nicht bereit war, in ein Kloster zu verschwinden oder Hals über Kopf irgendeinen armen Tropf aus dem Dorf zu heiraten, ehe die Leute merkten, dass sie schwanger war.«
    »Eine Frau ganz nach meinem Geschmack«, sagte ich. Diese Geschichte konnte unmöglich gut ausgegangen sein.
    »Leider sah das der junge March anders. Er war wütend. Er sollte eine reiche Angloirin heiraten und sah seine Pläne in Gefahr. Er erklärte der jungen Frau also, er wollte nichts mehr mit ihr oder dem Kind zu tun haben. Sie war ohnehin schon ziemlich unbeliebt im Dorf: nicht bloß unverheiratet schwanger – obwohl das allein damals schon schlimm genug war –, sondern auch noch von einem March schwanger … Kurz darauf wurde sie tot aufgefunden. Sie hatte sich erhängt.«
    Derlei Geschichten haben sich in der Vergangenheit überall in Irland abgespielt. Die meisten sind so tief und still vergraben wie das Laub vergangener Jahre, haben längst Eingang in alte Balladen und Geschichten gefunden, die an Winterabenden erzählt werden. Ich stellte mir vor, wie diese über ein Jahrhundert hinweg oder noch länger verborgen gelegen hatte, keimend und wachsend wie ein langsamer dunkler Samen, um endlich mit Glasscherben und Messern und giftigen Beeren aus Blut entlang den Weißdornhecken zu erblühen. Mein Rücken am Baumstamm kribbelte.
    Ich drückte die Zigarette an meiner Schuhsohle aus und schob die Kippe zurück in die Packung. »Hast du irgendeinen eindeutigen Beleg dafür, dass die Sache tatsächlich passiert ist?«, fragte ich. »Und nicht bloß irgendeine Geschichte ist, die in Rathowen erzählt wird, als Abschreckung für die Kinder, damit sie sich von Whitethorn House fernhalten?«
    Sam atmete tief aus. »Nichts. Ich hab die Akten von ein paar Sonderfahndern durchforsten lassen, aber sie haben nichts gefunden. Und die Chance, dass mir irgendwer in Glenskehy was erzählt, ist gleich null. Die würden die Sache lieber für alle Zeit unter den Teppich kehren.«
    »Aber irgendeiner hat sie nicht vergessen«, sagte ich.
    »In ein paar Tagen müsste ich in etwa wissen, wer das sein könnte – ich besorg mir sämtliche Informationen über die Leute in Glenskehy und gleiche sie mit deinem Profil ab. Aber ich wüsste gern genauer, was unser Freund für ein Problem hat, ehe ich ihn mir zur Brust

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