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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Daniel? Ja, möchtest du das? Möchtest du, dass wir alle uns mal so richtig ausquatschen ?« Irgendetwas lag in seiner Stimme, etwas Beunruhigendes wie Benzingeruch, darauf lauernd, sich beim ersten Funken zu entzünden.
    »Mit jemandem in deinem Zustand zu diskutieren halte ich für sinnlos«, sagte Daniel. »Reiß dich zusammen, trink einen Kaffee und hör auf, dich wie ein verwöhntes Balg aufzuführen.« Er hob erneut sein Buch und drehte sich von den anderen weg. Ich war die Einzige, die sein Gesicht sehen konnte. Es war vollkommen ruhig, aber seine Augen bewegten sich nicht: Er las kein einziges Wort.
    Selbst mir war klar, dass er völlig falsch reagierte. Wenn Rafe sich erst mal in so eine Stimmung reingesteigert hatte, wusste er nicht, wie er da wieder rauskommen sollte. Dann brauchte er jemanden, der ihm dabei half, der die Stimmung im Raum auf heiter umstellte oder auf friedlich oder sachlich, damit er sich dem anschließen konnte. Der Versuch, ihn rumzukommandieren, musste ihn nur noch mehr reizen, und bei dem Gedanken, dass Daniel einen so untypischen Fehler gemacht hatte, durchfuhr mich ein Ruck: Verwunderung und noch etwas anderes, Angst vielleicht oder Aufregung. Ich hätte Rafe im Handumdrehen beruhigen können (Oha, denkt ihr, ich hätte eine posttraumatische Belastungsstörung? Wie ein Vietnamveteran? Ruf doch mal einer »Granate«, dann seht ihr ja, ob ich in Deckung geh … ), und fast hätte ich es auch getan, es fiel mir schwer, mich zu bremsen. Aber ich wollte sehen, wie die Sache weiterging.
    Rafe holte Luft, als wollte er etwas sagen, aber dann überlegte er es sich anders, schüttelte angeekelt den Kopf und stieß heftig seinen Stuhl zurück. Er nahm sein Glas in die eine Hand, die Flasche in die andere und stakste aus dem Raum. Einen Augenblick später knallte seine Tür.
    »Ach du Schande«, sagte ich nach einem Moment. »Ich glaub, ich geh doch noch zum Psychiater und erzähl ihm, dass ich mit lauter Spinnern zusammenwohne.«
    »Hör jetzt auf«, sagte Justin. »Hör bloß auf.« Seine Stimme zitterte.
    Abby legte die Karten hin, stand auf, rückte ihren Stuhl ordentlich unter den Tisch und verließ das Zimmer. Daniel rührte sich nicht. Ich hörte, dass Justin irgendwas umstieß und unflätige Flüche vor sich hin murmelte, aber ich schaute nicht auf.

    Das Frühstück am nächsten Morgen verlief in beklemmender Stille. Justin schwieg mich an. Abby bewegte sich mit einer kleinen Sorgenfalte zwischen den Augenbrauen durch die Küche, bis wir mit dem Abwasch fertig waren und sie Rafe aus seinem Zimmer geeist hatte und die drei zur Uni fuhren.
    Daniel saß am Tisch und blickte aus dem Fenster, ganz in seine eigene Welt versunken, während ich abtrocknete und alles wegräumte. Schließlich bewegte er sich und atmete tief durch. »Okay«, sagte er und blinzelte verwundert, als er die abgebrannte Zigarette zwischen seinen Fingern bemerkte. »Wir müssen dann mal los.«
    Auch auf der Fahrt zum Krankenhaus sagte er kein Wort. »Danke«, murmelte ich, als ich ausstieg.
    »Keine Ursache«, sagte er geistesabwesend. »Ruf mich auf jeden Fall an, wenn sich bei der Kontrolle rausstellt, dass irgendwas nicht stimmt, was ich aber nicht glaube. Oder wenn du deine Meinung änderst und doch gern jemanden dabeihättest.« Er winkte über die Schulter, als er davonfuhr.
    Als ich mich vergewissert hatte, dass er auch wirklich weg war, holte ich mir einen Styroporbecher mit Muckefuck aus der Krankenhauscafeteria und lehnte mich draußen gegen die Wand, um auf Sam zu warten. Ich sah ihn, wie er einparkte und ausstieg, um den Parkplatz abzusuchen, ehe er mich erblickte. Für den Bruchteil einer Sekunde erkannte ich ihn nicht. Er sah müde aus und dicklich und alt, lächerlich alt, und in diesem kurzen Moment dachte ich bloß: Wer ist der Typ? Dann entdeckte er mich und lächelte, mein Verstand stellte sich wieder scharf ein, und Sam sah wieder aus wie er selbst. Ich sagte mir, dass Sam während einer größeren Ermittlung immer ein paar Pfund zulegt – zu viel Junkfood –, und da ich die letzte Zeit ständig mit Leuten unter dreißig zusammen gewesen war, musste ein Fünfunddreißigjähriger natürlich greisenhaft wirken. Ich warf meinen Becher in den Mülleimer und ging rüber.
    »Ah, Gott«, sagte Sam und drückte mich fest an sich, »tut das gut, dich zu sehen.« Sein Kuss war warm und stark und unvertraut. Sogar sein Geruch, Seife und frischgebügelte Baumwolle, kam mir fremd vor. Ich brauchte eine

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