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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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»Das klappt nie«, erklärte er.
    Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, aber anscheinend war gar keine Antwort erforderlich. Byrne holte seinen Kaugummi aus der Backe hervor und glotzte wieder nach draußen. »Da kommt Bannon«, sagte er. »Dieser hässliche dicke Klotz.«
    Wenn Sam will, hat er eine angenehm leichte Hand bei Vernehmungen, und an dem Tag wollte er. Er führte sie wie eine lockere Unterhaltung, beiläufig, unangestrengt. Fällt Ihnen vielleicht irgendjemand ein, auch wenn es nur so ein Gefühl ist, der Miss Madison angegriffen haben könnte? Wie sind die denn so, die fünf oben im Whitethorn House? Haben Sie in letzter Zeit irgendjemanden in Glenskehy gesehen, den Sie nicht kannten? Er vermittelte den Eindruck, subtil, aber unmissverständlich, dass die Ermittlung allmählich im Sande verlief.
    Bannon antwortete hauptsächlich mit gereiztem Brummen. McArdle war weniger bärbeißig und dafür gelangweilter. Beide behaupteten, nicht die geringste Ahnung zu haben, von gar nichts. Ich hörte nur mit halbem Ohr hin. Falls es da irgendetwas gab, würde Sam es finden. Ich wollte bloß einen Blick auf John Naylor werfen und sein Gesicht sehen, wenn er mich erblickte. Ich ließ mich auf dem wackeligen Stuhl nieder, Beine ausgestreckt, versuchte so auszusehen, als wäre ich zu einer weiteren sinnlosen Befragung herzitiert worden, und wartete.
    Bannon war tatsächlich ein hässlicher dicker Klotz: beachtlicher Bierbauch, muskelbepackt und gekrönt von einem Kartoffelgesicht. Als Sam ihn aus dem Vernehmungszimmer führte und er mich sah, stutzte er und betrachtete mich mit einem bösen, angewiderten Grinsen. Oh ja, er wusste, wer Lexie Madison war, und er konnte sie nicht leiden. McArdle dagegen – er war ein langes, mageres Hemd mit einem zotteligen Möchtegernbart – nickte mir halbherzig zu und trottete von dannen. Ich ging wieder hinter die Theke und wartete auf Naylor.
    Seine Vernehmung lief so ähnlich ab wie bei den beiden anderen: nichts gesehen, nichts gehört, nichts zu sagen. Er hatte eine nette Stimme, einen flotten Bariton mit diesem Glenskehy-Einschlag, der mir allmählich vertraut wurde – rauer als der von Wicklow, wilder – und einem angespannten Unterton. Dann kam Sam zum Schluss und öffnete die Tür.
    Naylor war mittelgroß, drahtig, trug Jeans und einen Schlabberpullover von unbestimmter Farbe. Er hatte volles rotbraunes Haar und ein markantes Gesicht: hohe Wangenknochen, breiter Mund, schmale grüne Augen unter buschigen Brauen. Ich wusste nicht, was für einen Männergeschmack Lexie gehabt hatte, aber dieser Bursche war gutaussehend, keine Frage.
    Dann bemerkte er mich. Seine Augen weiteten sich, und sein starrer Blick warf mich fast auf meinem Stuhl nach hinten. Was für eine Intensität! Es hätte Hass sein können, Liebe, Wut, Entsetzen, alles auf einmal, jedenfalls war es nicht mit Bannons gehässiger Häme zu vergleichen. Das war Leidenschaft, hell und lodernd wie eine Leuchtfackel.
    »Was denkst du?«, fragte Sam, während er hinter Naylor herschaute, wie er die Straße überquerte und auf einen verdreckten’89er Ford zuging, der beim Schrotthändler mit etwas Glück noch fünfzig Euro bringen würde.
    Ich dachte vor allem, dass ich jetzt ziemlich sicher war, woher das Prickeln bei mir im Nacken rührte. »Falls McArdle kein Schauspieltalent besitzt«, sagte ich, »kannst du ihn auf deiner Liste nach ganz unten schieben, denke ich. Ich wette, er hatte keine Ahnung, wer ich bin – und dein Vandale hat das Haus gut beobachtet, selbst wenn er nicht unser Mann ist. Er würde mein Gesicht kennen.«
    »Was auf Bannon und Naylor auch zutrifft«, sagte Sam. »Und sie haben sich kein bisschen gefreut, dich zu sehen.«
    »Die sind aus Glenskehy«, sagte Byrne düster hinter uns. »Die freuen sich nie, irgendwen zu sehen, echt. Und es freut sich auch nie einer, sie zu sehen.«
    »Ich hab Hunger«, sagte Sam. »Gehen wir was essen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Geht nicht. Rafe hat mich schon angesimst und gefragt, ob alles in Ordnung ist. Ich hab geantwortet, ich wäre noch im Wartezimmer, aber wenn ich nicht bald zur Uni komme, fahren die bestimmt zum Krankenhaus und suchen mich.«
    Sam holte tief Luft, nahm die Schultern zurück. »Richtig«, sagte er. »Immerhin haben wir einen mehr oder weniger ausgeschlossen. Bleiben bloß noch zwei. Ich fahr dich in die Stadt.«

    Keiner stellte Fragen, als ich in die Bibliothek kam. Die anderen nickten mir zu, als hätte ich bloß eine

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