Totengleich
üblichen zehn und Lexies zwanzig war –, und gehofft, sie würden sich die geringere Menge mit meinem noch angeschlagenen Zustand erklären. Mir war gar nicht in den Sinn gekommen, dass Frank sich bei diesen zwanzig Zigaretten am Tag nur auf die Aussage der anderen gestützt hatte. Daniel war nicht auf die Komageschichte hereingefallen. Gott allein wusste, was er sonst noch alles vermutete. Es wäre so einfach, so erschreckend einfach für ihn gewesen, bei seinen Gesprächen mit Frank bloß die ein oder andere Fehlinformation einzubauen, sich entspannt zurückzulehnen – seine ruhigen grauen Augen ohne eine Spur von Ungeduld auf mich gerichtet – und abzuwarten, ob sie ihr Ziel erreichten.
»Keine Ahnung«, sagte ich verwirrt. »Hab ich noch nicht drüber nachgedacht. Rauch ich echt mehr?«
»Früher hast du keine Zigaretten mit auf deine Spaziergänge genommen«, sagte Daniel. »Vor dem Zwischenfall. Jetzt schon.«
Die Erleichterung raubte mir fast den Atem. Ich hätte drauf kommen müssen – bei der Leiche waren keine Zigaretten gefunden worden –, aber eine Nachlässigkeit unsererseits war sehr viel leichter zu verkraften als der Gedanke, dass Daniel spielte, mit Unschuldsmiene, eine Handvoll Trümpfe in der Hand. »Wollte ich immer«, sagte ich. »Hab ich bloß dauernd vergessen. Jetzt, wo ihr mich ständig dran erinnert, mein Handy mitzunehmen, denk ich auch an meine Zigaretten. Und außerdem« – ich setzte mich auf und sah Daniel beleidigt an –, »wieso redest du mir ins Gewissen? Rafe pafft mindestens zwei Packungen am Tag, und ihn lässt du in Ruhe.«
»Ich rede dir nicht ins Gewissen«, sagte Daniel. Er lächelte mich über sein Buch hinweg an. »Ich finde bloß, man soll seine Laster genießen. Wozu hat man sie sonst? Wenn du aus Nervosität rauchst, dann genießt du es nicht.«
»Ich bin nicht nervös«, entgegnete ich. Zum Beweis ließ ich mich nach hinten auf die Ellbogen sinken und stellte mir den Aschenbecher auf den Bauch. »Mir geht’s prima.«
»Wenn du zurzeit nervös bist«, sagte Daniel, »ist das nur verständlich. Aber du solltest eine andere Form finden, Stress abzubauen, anstatt ein bewährtes Laster so zu verschwenden.« Wieder dieses angedeutete Lächeln. »Falls du das Bedürfnis hast, mit jemandem zu reden … «
»Meinst du etwa, mit einem Therapeuten?«, fragte ich. »Igitt. Im Krankenhaus haben sie auch davon angefangen, aber ich hab gesagt, sie sollen mich bloß damit in Ruhe lassen.«
»Mhm, ja«, sagte Daniel. »Kann ich mir vorstellen. Ich glaube, das war eine gute Entscheidung. Ich hab noch nie verstanden, welche Logik dahintersteckt, einen fremden Menschen von fragwürdiger Intelligenz dafür zu bezahlen, dass er sich deine Probleme anhört. Für so was hat man doch Freunde. Falls du drüber reden willst, sind wir alle –«
»Gott verdammt nochmal«, donnerte Rafe los. Er klatschte seine Karten auf den Tisch und schob sie weg. »Ich brauch gleich’ne Kotztüte. Magst du der Gruppe deine Gefühle erzählen? Lasst uns alle drüber reden! Hab ich da was nicht mitgekriegt? Sind wir auf einmal in Kalifornien, und keiner hat’s mir gesagt?«
»Was hast du eigentlich für ein Scheißproblem?«, fragte Justin bissig.
»Ich kann dieses Psychogetue nicht ab. Lexie geht’s gut. Gibt es irgendeinen bestimmten Grund, warum wir sie nicht einfach in Ruhe lassen können?«
Ich hatte mich aufgesetzt. Daniel hatte sein Buch hingelegt. »Das hast ja wohl nicht nur du zu entscheiden«, sagte Justin.
»Wenn ich mir diesen Stuss anhören muss, dann doch, dann kann ich das entscheiden. Ich steig aus. Justin, hast gewonnen. Abby, neue Karten.« Rafe griff an Justin vorbei nach der Weinflasche.
»Wo wir gerade von Lastern zur Stressbewältigung sprechen«, sagte Abby unterkühlt, »meinst du nicht, du hast für heute Abend genug intus?«
»Nein«, erwiderte Rafe und sah sie an, »das mein ich ganz und gar nicht.« Er goss sich sein Glas so voll, dass ein Tropfen überschwappte und auf den Tisch lief. »Und ich erinnere mich nicht, dich um deinen Rat gebeten zu haben. Teil endlich die Karten aus.«
»Du bist betrunken«, sagte Daniel kalt. »Und du benimmst dich unmöglich.«
Rafe fuhr herum und starrte ihn an. Seine Hand umklammerte den Rand des Glases, und für eine Sekunde dachte ich, er würde es werfen. »Ja«, sagte er leise und bedrohlich. »Ich bin tatsächlich betrunken. Und ich beabsichtige, noch sehr viel betrunkener zu werden. Möchtest du darüber reden,
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